Dienstag, 22. Februar 2011

Lese man(n) doch... - Die Rezension Nr. 1

»Immer dann, wenn ich die Boxen komplett leer räumte und zum Dungplatz hinausfuhr, bedeutete ich Monti mich zu begleiten, er rannte folgsam neben dem Traktor her, obwohl er den Regen nicht mochte, und wartete geduldig, bis ich den Anhänger abgeladen hatte, für gewöhnlich ließ ich den Motor , und wenn sich dann eins der Pferde aus dem Nebel löste und auf mich zutrat, erschrak ich bis ins Mark weil ich seine Tritte nicht gehört hatte. Ich stieg jedes Mal ab und sagte hi horse, doch es fiel zunehmend schwerer, die Lippen auseinander zu bewegen, ich fühlte, dass es Laute geben müsse, die besser dazu geeignet waren, das auszudrücken, was in mir war und nach außen dringen wollte, und bald fand sich ein monoton klagender Laut, der tief in meinem Inneren erwuchs und bei geschlossen Lippen und jegliche Anstrengung zu produzieren war und der sich anhörte wie der Ruf der Raubvögel, die über den Wäldern ihre Kreise zogen; und ebenso langsam und stetig, wie diese ihre Schwingen auf und nieder bewegten, verrichtete ich die einzelnen Handgriffe meiner Arbeit in ruhigem Gleichmaß. Dabei schien sich die Grenze, die zwischen mir und den Dingen war, aufzulösen, so dass alles, was ich berührte, zu einem Teil meiner selbst wurde oder ich ein Teil von ihm, es war, als verwüchse ich damit und würde immer schwerer und näherte mich dem Boden und als wären meine Beine die Wurzeln einer Pflanze und meine Hände die Schaufeln eines Tieres, und wenn ich aß, beugte ich meinen Kopf über den Teller und leckte das Essen mit der Zunge heraus.«

Die Hütte von Kathrin Groß-Striffler ist keines Falls ein Roman, der mit Action geladen ist. Würde man aus dem Buch einen Film machen wollen, wäre das Werk wohl am besten den französischen Filmen zuzuordnen. Sie haben keinen Wechsel zwischen Spannung und Entspannung, wie man es aus US-amerikanischen Produktionen kennt – ihr Zauber liegt zweifelsohne darin, dass sie sich durch ein immer gleich bleibendes Maß an Spannung auszeichnen. Aber nie extrem Fingernägel gefährdend.

Schlagen wir das Buch auf, befinden wir uns schon innerhalb kürzester Zeit im Osten der USA. Die Blue-Ridge-Mountains, ein Teil der Appalachen, bilden zweifelsfrei eine traumhafte Kulisse für Romane voll von Leidenschaft und Lust. Beides finden wir zwar nicht in Die Hütte, aber auch Kathrin Groß-Strifflers Geschichte ist hier nicht fehl am Platz: Es ist ein Psychodrama um eine junge Frau, eine deutsche Studentin, die eines Tages beschloss, vor ihrer Vergangenheit und ihrem Leben, wie es bis jetzt war, zu flüchten. Was ihr zugestoßen ist, weiß keiner; doch in einer einsamen Hütte, dem Alterssitz einer alten Dame angehörend, glaubt sie, Erlösung gewinnen und sich ein neues, befreites Leben aufbauen zu können.

Die Autorin versetzt uns an einen Ort, an dem der gemeine Leser fast glaubt, das alte Goldgräber-Gefühl wahrzunehmen. In dieser Abgeschiedenheit baut Kathrin Groß-Striffler eine kleine Welt, geprägt von Alltagsaktivitäten, auf.

Hier hin flüchtete sich Johanna, als sie erkennt, dass ihre Ehe mit Jim vom anfänglichen Glück verlassen wurde. Auch Emigranten trügt der Schein vom Glück in der Ferne öfter als man zudenken wagt. Auf dem einsamen Alterssitz einer in die Jahre gekommenen Frau quartierte sie sich ein. Dort verrichtet sie Aufgaben für die Frau, die mit Landarbeit und Bauernhof-Tierpflege beschrieben werden können. Joanna, wie sie sich von der alten Frau nennen lässt, findet auch bald einen neuen Freund im Hund Monti, der zu ihrer Hütte gehört. Mit ihm treibt sie durch Höhen und Tiefen, vorbei an Verletzungen, die sie sich und ihrem treudummen Begleiter zufügt.

In all der Alltäglichkeit und den vereinzelten Rückblicken in Johannas Vergangenheit kommt man schnell auf den Gedanken, dass Selbige Opfer einer Vergewaltigung geworden ist. Da überrascht es mich nicht, dass sich Groß-Striffler ein besonderes Schmankerl hat einfallen lassen: den Schrei! Seiner Entstehung sind Sie schon im Eingangszitat auf den Grund gegangen. Aber solch eine Eigenart der Hauptfigur ist nur die letzte, die Parallelen zu anderen preisgekrönten Werken vermuten lässt.

Die Hütte endet, wie sie begonnen hat: alltäglich! Obwohl man sich nach den letzten Zeilen mit einem offenen Ende auseinander setzten muss, hat man jedoch nicht das Gefühl, es fehle etwas.

Alles in allem, stand für mich schon recht schnell fest, dass Die Hütte dazu bestimmt war, mit einem Literaturpreis, wie dem Alfred-Döblin-Preis, ausgezeichnet zu werden:

Die Geschichte wird aus der Ich-Perspektive erzählt (was an sich noch kein Kriterium für einen Preis ist, aber es liest sich gut und macht eine Geschichte sehr viel lebendiger) und führt zum anderen in menschliche Abgründe, die durchaus faszinieren. Die Trägerin des Alfred-Döblin-Preises 2003 offenbart ferner ein großes sprachliches Können.

Nun gut, das Buch habe ich Weihnachten 2007 von meinem Schwager geschenkt bekommen – und bin, ganz nebenbei, der Literatur in fast all ihren Formen verfallen –, und somit irgendwie nicht die Neutralität in persona. Wer aber ebenfalls parataktische Sätze und eine lakonische Ausdrucksweise liebt, für den ist das Buch auf jeden Fall das Richtige!


Kathrin Groß-Striffler - Die Hütte
deutschsprachiges Original, 2. Auflage 2004
Aufbau-Verlag, Berlin
Gebundene Ausgabe, 158 Seiten
ISBN: 3-351-02989-6

Keine Kommentare: