Dienstag, 8. Februar 2011

Europa und der Pharao

Zum Umgang mit Diktatoren
Von Jacques Schuster


Ach herrje, was hat der Westen wieder alles falsch gemacht! Wie konnten unsere Politiker es wagen, Hosni Mubarak, diesen Wolf im Schafspelz - oder Schaf im Wolfspelz? - wie auch immer - wie konnten unsere Politiker es wagen, den ägyptischen Schurken 30 Jahre zu hätscheln?

Wieder ist es diese eiskalte Realpolitik, die uns zu Bütteln finsterer Mächte macht. Haben wir nichts aus den Fehlern unserer Entspannungspolitik gelernt, als Brandt, Schmidt und Kohl Honecker und Jaruzelski hofierten und sich Bundeskanzler Helmut Schmidt zu dem unverfrorenen Satz aufschwang: "Jede Einmischung ist Anmaßung"? Vergesst Bismarck, glaubt Michel Friedman. Hört nicht auf Henry Kissinger - achtet auf Claudia Roth. Oder auf einige Journalisten.

"Herr Minister, warum fordern Sie nicht den Rücktritt des ägyptischen Präsidenten?", wurde Guido Westerwelle in einer der Brennpunkt-Sendungen des Fernsehens gefragt. Ja, warum hat er nicht, der tumbe Tor? Hätte er bei seinem Antrittsbesuch im vergangenen Jahr in Kairo nicht gleich am Flughafen der ägyptischen Hauptstadt zum Tyrannenmord aufrufen sollen? Das Volk wäre ihm sicher gefolgt. Doch was nützt es, über das Gestern zu lamentieren? Dem Morgen gehört die Zukunft. Vergessen wir die Fehler der Vergangenheit. Ändern wir die deutsche Außenpolitik - heute noch.

Und zwar wie folgt: In einer Stunde wird Außenminister Westerwelle vor die Presse treten, auf die Menschenrechtsverletzungen in Saudi-Arabien hinweisen und König Abudllah al Saud auffordern, den Thron zu räumen. Sollte das nicht geschehen, werde die Bundesrepublik ihren Botschafter abziehen, wird Westerwelle drohen. Solange das Regime nicht freie Wahlen verspricht, werde sich Berlin weiteren Erdöllieferungen verweigern.

Und König Abdullah von Jordanien? Er ist nicht ganz so unappetitlich wie der saudische Monarch, aber ein Demokrat ist Abdullah auch nicht. Aus diesem Grund weist Westerwelle mit Billigung der Bundeskanzlerin Entwicklungshilfeminister Dirk Niebel an, einen Teil der Hilfe für Jordanien den Oppositionsparteien vor Ort zukommen zu lassen. Schließlich beklagen sich die jordanischen Muslimbrüder seit Jahren über die Pressezensur - und das zu Recht.

In Syrien wiederum ist alles friedlich. Seit Syriens Präsident Hafiz al-Assad 1982 seine Armee aussandte, um etwa 20.000 Muslimbrüder zu ermorden, ist es ruhig zwischen Euphrat und Mittelmeer. Die Tat sollten wir dennoch nicht vergessen und Baschar al-Assad, den Sohn des Massenmörders in Zukunft schneiden, jedenfalls so lange er nicht Rechtsstaatlichkeit gelobt.

China ist zu groß für eine Boykott-Politik, doch auch die Einparteidiktatur muss wissen, wie wir zu ihr stehen. So entsendet Berlin einen Botschafter an den Hof seiner Heiligkeit, des Dalai Lama. Peking soll nicht glauben, wir Deutschen würden seine Terrorherrschaft den Tibetern gegenüber folgenlos hinnehmen.

Merken Sie etwas? Folgte Deutschland nur der Moral, stünde es in der Welt allein da. Schlimmer noch: Aus Partnern würden Gegner. Sicher, werden Sie nun einwenden, aber wenigstens im Falle Ägyptens hätte Deutschland früher seine Stimme erheben können. Hätte es? Ägypten galt Europäern und Amerikanern nicht nur als halbwegs stabil, im Vergleich zu den anderen muslimischen Führern waren Mubarak und der Tunesier Ben Ali auch viel weniger autoritär.

Darüber hinaus war Mubarak lange Zeit beliebt im Volk. Er war der Präsident, der sein Land nach dem Frieden mit Israel aus der Isolation zurück in die arabische Familie führte. Das Volk dankte ihm dafür.

Was folgt daraus? Zunächst und vor allem eines: Es ist nicht alles, wie es scheint. Und wenn es so ist, wie sollen wir in Zukunft mit Ägypten umgehen? Die Antwort ist klar: mit Vorsicht. Freie Wahlen bringen nicht gleich demokratische Verhältnisse. Monate später noch könnten sich die Muslimbrüder, die stärkste Oppositionsbewegung im Land, leise an die Macht schleichen. Oder das Militär. Es hat bisher noch jeden Machtwechsel in Ägypten nach seinen Regeln vollzogen.

Wie soll Deutschland darauf reagieren? Die Antwort führt uns zurück in die angeblich so eisigen Sphären der Realpolitik. Deutschlands Interesse sollte es sein, mit einem ägyptischen Staat zu tun zu haben, der darauf achtet, das Pulverfass Nahost nicht explodieren zu lassen. Wenn er darüber hinaus noch Rechtssicherheit und vielleicht sogar die Menschenrechte garantiert, dann ist das umso besser.


Jacques Schuster, 1965 in Berlin geboren, studierte Geschichte und Internationale Beziehungen an der Freien Universität Berlin. Von 1994 bis 1997 war er regelmäßiger Autor der "Frankfurter Allgemeinen Zeitung", der "Süddeutschen Zeitung" und des "Tagesspiegels". Von 1998 bis 2006 leitete Schuster das Ressort Außenpolitik bei der "Welt", jetzt ist er Mitarbeiter der "Literarischen Welt". 1996 erschien sein Buch "Heinrich Albertz - Ein Mann, der mehrere Leben lebt".

(c) Deutschlandradio Kultur, Politisches Feuilleton

1 Kommentar:

Shenzhou hat gesagt…

Ägyptens Präsident Hosni Mubarak (Bild: AP)