Freitag, 6. März 2009

Vom Dienen

Über eine unzeitgemäße Rhetorik
Von Wolfgang Sofsky


Alle Welt spricht vom Dienen. Könige, Präsidenten und Minister geloben feierlich, sich dem Volkswohl zu unterwerfen. Soldaten dienen dem Vaterland, Beamte dem Staat, Mitarbeiter ihrer Firma, Kellner ihren Gästen und Gläubige ihrem Gott. Im Dienste der Menschheit arbeiten Ärzte, Forscher und diverse Hilfskräfte.

Zwischen Staatsdienst, Gottesdienst und Kundendienst bestreiten Millionen Menschen ihren Lebensunterhalt. Das Dienen scheint ihnen Beruf, einigen sogar eine innere Berufung zu sein. Manch einer wird zu Nachhilfekursen in Dienstfertigkeit abgeordnet, um dem ungeliebten Service ein freundliches Antlitz zu verleihen. Auf allen sozialen Rängen spielt man die servile Attitüde vor, als gelte es, niedere Instinkte zu kaschieren und dem schnöden Macht- und Erwerbstrieb einen moralischen Sonderwert zu verleihen.

Mit dem Dienen haben alle diese Beschäftigungen nur wenig zu tun. Die Rhetorik der Unterwürfigkeit ist nichts als Spiegelfechterei. Der Verkauf von Leistungen ist kein Dienst, sondern ein Warentausch. Dass sich Machthaber als Knechte des Staates gerieren, übertüncht die Wirklichkeit politischer Herrschaft. Die öffentlichen und geheimen Dienste sind Bürokratien von Amtsträgern. Serviceagenten sind keine Hilfskräfte für Arbeitslose, sondern Behördenpersonal. Weder die Putzfrau noch der Figaro, weder der Liftboy noch die Fußpflegerin sind Diener einer Herrschaft. Die allermeisten Beschäftigten taugen nicht einmal als Darsteller von Dienerschaft, so fremd ist ihnen, was Dienen letztlich bedeutet.

Ein Dienstverhältnis fordert stets Unterwerfung unter eine persönliche Herrengewalt. Vom Leibarzt bis zum Seneschall, von der Kammerzofe bis zur Hausköchin untersteht das Personal der Macht eines Herrn. Diener gehören seinem Haushalt an und sind ihm als Person verpflichtet. Das Verhältnis ist geprägt von Tradition, Loyalität, Vertrauen und Fügsamkeit. Ein Diener hat Befehle prompt auszuführen. Seine erste Pflicht ist geräuschloser Gehorsam. Nach Jahren der gleichen Prozedur ist ihm die Unterwürfigkeit in Fleisch und Blut übergegangen. Noch ehe der Herr überhaupt an den nächsten Auftrag denkt, hat der gute Diener ihn bereits ausgeführt. Oft kennt er seinen Herrn besser als jener sich selbst. Er teilt dessen Leben, und diese Nähe zur Herrschaft tröstet ihn über das Ungemach der subalternen Stellung hinweg. Anders als der Knecht identifiziert sich der Diener nicht ohne Stolz mit seinem Auftraggeber. Manchmal fragt ihn jener sogar um Rat oder vertraut ihm ein Geheimnis an. Dennoch macht er sich niemals mit dem Diener gemein. Der Herr teilt mit dem Personal seine Tage und hat dabei ständig das Gesicht zu wahren.

Für Treue und Gehorsam schuldet der Herr dem Diener Respekt, Hilfe in der Not, Schutz nach außen und menschliche Behandlung. Die Ausbeutung der Leistungskraft ist begrenzt, und häufig besteht die Aufgabe von Dienern nur darin, da zu sein, zu warten und durch ihre bloße Existenz den Ruhm ihres Herrn zu mehren. Nur wenige bringen nützliche Objekte hervor. Die meisten verrichten niedere Dienste, halten den Betrieb in Gang und entsorgen dessen Überreste. Dienstbare Geister schweben in der Konsum-, nicht in der Produktionssphäre.

Weshalb greift eine Gesellschaft auf die Rhetorik des Dienens zurück? Offenbar hält man den gewohnten Ungeist der Untertänigkeit für ein soziales Allheilmittel. Dienstfertigkeit soll dem Verkaufspersonal mürrische Mienen und dem Behördenservice ruppige Umgangsformen abgewöhnen. Unzufriedenheit mit der politischen Macht wird besänftigt, indem man die Asymmetrie verbal umdreht. Einer freien Gesellschaft sind solche Anleihen am alten Regime unwürdig. Private und öffentliche Leistungen sollten mit Höflichkeit und Respekt, nicht mit Bücklingen erbracht werden. Von Soldaten ist nicht Vaterlandsliebe, sondern Umsicht und Courage zu erwarten. Und von seinen gewählten Repräsentanten kann der freie Bürger Klugheit, Prinzipientreue und Entscheidungskraft verlangen - und den Verzicht auf jegliche Geste der Kriecherei. Amtsträger, die ihre Machtstellung verleugnen und immerzu vor einem fiktiven Gemeinwohl katzbuckeln, sind eine Beleidigung für den politischen Verstand der Bevölkerung.


Wolfgang Sofsky, Jahrgang 1952, ist freier Autor und Professor für Soziologie. Er lehrte an den Universitäten Göttingen und Erfurt. 1993 wurde er mit dem Geschwister-Scholl-Preis ausgezeichnet. Er publizierte u.a.: "Die Ordnung des Terrors. Das Konzentrationslager" (1993), "Figurationen sozialer Macht. Autorität - Stellvertretung - Koalition" (mit Rainer Paris, 1994) und "Traktat über die Gewalt" (1996). 2002 erschien "Zeiten des Schreckens. Amok, Terror, Krieg", "Operation Freiheit. Der Krieg im Irak" und 2007 der Band "Verteidigung des Privaten".