Mittwoch, 9. Dezember 2009

Bildungsdilemma?

Mehr Erziehung bitte!
Von Konstantin Sakkas


Bildungsförderung ist ohne Zweifel ein lobenswertes Ziel. Die Frage ist nur, ob es auch aktuell ist. Seit Beginn der Pisa-Studien in den Neunzigerjahren, seit der unseligen Bologna-Reform sind sich alle einig, dass sich in Schulen und Universitäten etwas ändern muss. Fragt sich nur, was.

Haben wir wirklich ein Bildungsproblem? Oder nicht eher ein Erziehungsproblem? Vielleicht sollte sich die Politik einmal darüber Gedanken machen, bevor sie leichtfertig Milliardensummen für eine Modernisierung ausgibt, die am Ende ins Leere läuft.

Wer heute in deutsche Klassenzimmer schaut, dem wird schnell klar: Hier fehlt es nicht an Bildung, sondern an Disziplin. Das Lehrangebot ist da, nach wie vor, und es kann sich international durchaus sehen lassen. Doch wenn die Vermittlung von Inhalten an der grenzenlosen Respektlosigkeit von Schülern gegenüber ihren Lehrern scheitert, wenn diese Lehrer in ihrer Mehrheit schlicht kein Durchsetzungsvermögen mehr haben oder es ihnen ausgetrieben wurde, dann hilft auch das beste Curriculum nichts.

An sogenannten Elitegymnasien etwa - altsprachlich, grundständig, solide - konnte man in den Neunzigerjahren beobachten, dass Bildung das schlimmste denkbare Schimpfwort überhaupt war. Bildung - das war das Gegenteil von Coolness. Weil aber die Abiturquoten dennoch erfüllt werden mussten, haben wir seit Jahren das Phänomen, dass sich zum Beispiel Schulabgänger für ein Geschichtsstudium immatrikulieren, aber nicht einmal wissen, wann die Französische Revolution war.

Die stillschweigende, fahrlässige Duldung einer konsequenten Nicht-Bildungspolitik an den Gymnasien hat uns Bologna eingebrockt. Und ihre Folgen werden auch durch neue Finanzvolumina nicht beseitigt. Sondern nur durch den Willen, die bestehenden, völlig befriedigenden Bildungsinhalte künftig auch konsequent, hartnäckig, ja: auch autoritär durchzusetzen.

Das Gleiche gilt, und noch viel mehr, für die sogenannten Unterschichten. Was hat es mit Bildung zu tun, wenn Berliner Hauptschullehrerinnen fürchten müssen, von ihren Schülern geohrfeigt zu werden, wenn sie die Hausaufgaben abfragen? Hier geht es nicht um Bildung, sondern um Erziehung! Erziehung zu den ganz einfachen menschlichen Grundtugenden wie Respekt und Selbstbeherrschung.

Und seien wir ehrlich: Wer hierbei gerne auf den sogenannten Migrationshintergrund vieler Problemkinder verweist, der sollte bedenken, dass diese Kinder ihre üblen, gewalttätigen Sitten zumeist hier, in Deutschland gelernt haben - und ganz sicher nicht in der Türkei oder im Orient, in strengen, patriarchalischen Gesellschaften. Es ist der Geist von 68, der Geist der permissive society, der seit vierzig Jahren die unglaubliche Lern- und Respektverweigerung der Heranwachsenden von heute legitimiert und der ihnen den Irrglauben eingepflanzt hat, es sei eine Schande, ein Gedicht, eine Matheformel oder eine Jahreszahl auswendig zu wissen.

68 hat auch Gutes bewirkt, im Erziehungssystem nun aber gerade nicht. Denn die Lage eines Sechzehnjährigen ist eben eine ganz andere als die eines Sechsundzwanzigjährigen: Der braucht Freiheit, um seine erwachsene Persönlichkeit entfalten zu können, auch durch Irrungen und Wirrungen; der Heranwachsende aber braucht eine feste Ordnung, zumindest dann, wenn die Schule ihm etwas beibringen will. Sonst können wir die Schulpflicht gleich abschaffen.

Denn die wahre Elite, die Begabten, die werden sich, ob mit oder ohne dickes Bankkonto, sowieso durchschlagen; die lernen sowieso das meiste privat, aus eigenem Antrieb, ob sie den Faust lesen oder fürs juristische Examen pauken. Doch der große Rest der Gesellschaft geht der Bildung unweigerlich verloren, wenn man nicht endlich begreift, dass niemand ohne klare Regeln auskommt - sei es in der U-Bahn oder im Klassenzimmer. Und hier hat Deutschland mittlerweile einen erschreckend großen Nachholbedarf.


Konstantin Sakkas, Jahrgang 1982, schloss 2009 das Studium in den Fächern Rechtswissenschaften, Philosophie und Geschichte an der Freien Universität Berlin ab. Er arbeitet seit mehreren Jahren als freier Autor für Presse und Rundfunk.

(c) Deutschlandradio Kultur, Politisches Feuilleton