Samstag, 17. November 2007

Ich bin dann mal weg


Mein Pilgerweg lässt sich nun wie eine Parabel meines Lebensweges deuten. Es war eine schwierige Geburt, was bei mir tatsächlich zutrifft. Am Anfang des Weges und in meiner Kindheit finde ich schwer zu meinem Tempo. Bis zur Mitte des Lebensweges begleiten mich, bei aller dazugewonnenen positiven Erfahrung, Irrungen und Wirrungen und ich gerate ab und zu aus dem Tritt. Aber etwa ab der Hälfte des Weges marschiere ich frohgemut dem Ziel entgegen. Fast scheint es so, als würde der Camino mir gnädigerweise sogar einen vorsichtigen Blick in meine Zukunft gewähren. Heitere Gelassenheit könnte doch ein eches Ziel sein!
Jeder einzelne Wandertag war ebenso strukturiert wie der gesamte Camino. Das Detail ist das Abbild des Ganzen. Eins ist in Allem und Alles ist in Einem.
Morgens komme ich schwer in die Puschen, mittags finde ich dann mein Lauftempo und gegen Abend marschiere ich müde, aber gelassen und entschlossenen Schrittes dem Ziel entgegen und habe auch noch Kraft gewonnen.
In unserer nahezu entspiritualisierten westlichen Welt mangelt es leider an geeigneten Initiationsritualen, die für jeden Menschen eigentlich überlebenswichtig sind. Der Camino bietet eine echte, fast vergessene Möglichkeit, sich zu stellen. Jeder Mensch sucht nach Halt. Dabei liegt der einzige Halt im Loslassen.


Während meine männlichen Mitschüler in der neuten Klasse (längst schon im Stimmenbruch) mit versuchter Eunuchenstimme sein "Hurz", das schon Jahre vor ihnen zum Kult geworden war, sangen, fragte ich meine Familie, was dies Etwas denn für eine Bewandnis habe. Ich bekam zur Antwort, dass es ein Kunstwort von Hape Kerkeling sei. Das war so meine erste bewusste Bekanntschaft mit seinem künstlerischen Schaffen.
Jeder kann sich sicherlich noch an Hannilein erinnern? Das vorlaute Vorschulkind, das mit roter Pumuckel-Frisur, Latzhose und auf übergroßen Stühlen sitzend, die Welt der Erwachsenen kommentierte. (Hierzu übte sich Kerkeling übrigens eine spezielle, kinderähnliche Stimmfärbung an und ahmte, gerne mit einem Spielzeug in der Hand, die typischen unkontrollierten Bewegungen von Kleinkindern nach.) Oder die Osacar-reife krikatur der Niederländischen Königin Beatrix, die sogar mitunter rechthohen Bekannheitsgrad im Asland erreicht hat. Doch aber spätenstens seit seiner Rückkehr 2006, als Horst Schlämmer, kennt ihn wohl jeder, der ihn bis dato noch nicht kannte. (Weisse Bescheid?)

Doch was führt einen Mann, der deutschlandweit höchste Bekanntheitsgrade erreicht und sich zu den Beliebtesten zählen kann, auf den Pilgerweg des Heiligen Jakob in Spanien? Die Antwort ist verblüffend simpel wie komplex zugleich - es ist die Frage "Wer bist du?". Es gibt sicher keinen Menschen auf diesem Planeten, der sich diese Frage nicht schon einmal selbst gestellt hat.
Hape Kerkeling, der eigentlich Hans-Peter heißt (wie ich im September diesen Jahres erst mehr oder weniger durch Zufall herausfand und mich vorher immer wieder fragte, wie Eltern auf die Idee kommen können, ihren Sohn HaPe zunennen...), nimmt den gewillten Leser auf eine (seine) ganz eigene Reise auf dem Jakosbweg mit. Er begann seine Pilgerschaft im französischen Saint-Jean-Pied-de-Port und wanderte die 600 km bis nach Santiago de Compostella in Spanien. Auf dieser Reise traff und trifft er ganz unweigerlich ganz viele Menschen. (Warum "trifft"? Weil das Buch noch heute von unzähligen Menschen gelesen wird und auch von mir ganz sicher ein zweites Mal gelesen werden wird.) Er traf Menschen, deren Gesellschaft er gern über längere Zeit genossen, oder gar dauerhaft genossen hätte, aber auch einige wenige Exemplare, die seine Ruhe und Geduld stark strapazierten. Wobei es bei letzteren Begegnungen oft köstlich war, zulesen oder auch ganz schockend.
Dieser Mann hat Erfahrungen gesammelt, um die ihn - trotz des damit auch mal verbundenen Schmerzes (oder gerade weil?) - sicherlich eine Menge Leute beneiden. Meine Mutter hat sich Hapes Buch, man könnte fast schon Autobiografie sagen, zu ihrem Geburtstag gewünscht. Schon als das Buch noch bei meiner Schwester im Regal stand habe ich die ersten Etappen gelesen. Am meisten packte mich schon der erste kleine Absatz auf der ersten Seite: >Ich bin dann mal weg!< style="font-style: italic;">Die fabelhafte Welt der Amélie begann, wo man beginnt auf die kleinen und kleinsten Dinge zu achten, setzt sich in Ich bin dann mal weg fort.

Dieses Buch kann ich nur empfehlen. Ihr, die ihr sucht oder findet, die ihr eure Umwelt in jeder Einzelheit erfassen wollt, lest. Und ihr bekommt auch den intimen Einblick in die Sicht eines Menschen, den man nur aus einer Elektonenstrahlröhre kannte und in dem doch eine Welt verborgen ist, in die man niemals einfach so hätte blicken können.
Mag er ein waschechter Christ sein, aber - mit biblischen Worten - auf ihm ruht der Geist Gottes.

Hape Kerkeling - Ich bin dann mal weg (2006)
deutschsprachige Originalausgabe
Verlag: Malik
gebundenes Buch,
320 Seiten (35 Fotos und eine Karte)
ISBN:
3890293123