Sonntag, 20. Mai 2012

SehnSucht

Schmerzliches Verlangen - so wird es beschrieben 
Ein Film von Wilma Pradetto und Eberhard Rühle 

Ein Wunsch, ohne die Aussicht auf Erfüllung - ein Wesen begehrenswert, weil unerreichbar, eine süße, sehnsüchtige Qual. Nie ist die Sehnsucht so ungestüm, wie in der Jugend: der erste Schwarm, das Gefühl, dass etwas fehlt, das Sich Sehnen nach Vollständigkeit.

Es gibt mit Sicherheit eine gerechtere und bessere Welt, denn sie existiert in unseren Gedanken, Fantasien und in unserer Vorstellung. Wir wollen das, was zu unserem Glück beiträgt, aber wir suchen es da, wo es nicht ist.
Unsere Sehnsüchte lassen uns fühlen,  dass uns etwas fehlt. Dieses diffuse Verlangen macht uns elendig. Gerade dann, wenn wir uns vollständig fühlen - aufgehoben in unseren Sehnsüchten - ist der Verlust dieses Gefühls schmerzlicher, als die Sehnsucht danach jemals war. Es riecht nach Verrat, wenn das Vertrauen zerbricht.

Die Sehnsucht sucht das andere, das, was fehlt. Die Sucht sieht nur sich selbst. So zerstört der Süchtige sich selbst, sein eigenes Bild. Und er zerstört die Beziehungen zu seinem Umfeld: er findet, was er nicht sucht und sucht, was er nicht findet. Was denen bleibt, die er verlässt, ist der Mangel.
Die Erinnerung an die Normalität, das Vertraute verwandelt sich in die verzehrende Sehnsucht, vergangenes zu tilgen.

Wenn die Sehnsucht unerfüllt bleibt, kann sie zu einem quälenden Begleiter werden. Leere, das Gefühl der Unvollständigkeit stellt sich ein. Die Einsamkeit wächst sich zur Schicksalsfrage aus.

Wenn das Sehnen nur noch um sich selbst kreist, dann verliert es sein Ziel aus den Augen und es beginnt jeden Gedanken zu besetzen, jede Nische zu okkupieren. Es verliert sich im bodenlosen.
Es beginnt ein Teufelskreis, der die Erfüllung der Sehnsucht sogar verhindert.

Sehnsucht ist der bohrende Stachel in unserer Selbstgenügsamkeit. Sie lässt uns von einem besseren Leben träumen. Sie ist die ständige Suche nach der Vervollständigung und erinnert uns daran, nicht im Alltäglichen zu versinken.
Sehnsucht ist ein Raum der Möglichkeiten. Voller Hoffnungen und Wünsche, sie duldet keine Unvollkommenheit. Jegliche Kritik an der Wirklichkeit setzt zweifellos schon die Sehnsucht einer möglichen Vollkommenheit voraus.
Sehnsucht ist das Warten auf das erhoffte Ereignis, die leere Zeit dazwischen. In der Vorfreude sind noch alle Möglichkeiten vorhanden.

Wir sehnen uns danach, im Einklang mit unseren Gedanken und Wünschen zu leben. Deshalb malen wir uns, in bunten Farben sehnend, unsere zukünftige Wirklichkeit. Um sie hier und jetzt auf ihre Tauglichkeit zu prüfen.
Wir leben strebend, nach vorne denkend, das Vergangene nutzend, die Zukunft erträumend und die Gegenwart ertragend.

Die Sehnsucht nach Geborgenheit macht stark, sie verbündet sich mit dem Willen und der Arbeit gegen die Lebensangst - und so träumt man sich von Tag zu Tag und sehnt sich nach einem besseren Ausgang. Doch darin ist auch ein Teil schaler Furcht vor dem Verlust. Wenn der Boden wankt und man nicht wissen will, warum, dann ist Platz für Angst. Wird sie bestimmt, dann wird aus sehnen Furcht.

Die Sehnsucht gehört zum Menschen. In ihr geht er über diese Welt hinaus. Wer die Sehnsucht verdrängt, gerät in Sucht; gesund wird er nur, wenn er seine Sucht wieder in Sehnsucht verwandelt.

Wenn sich nach einer langen Zeit des Wartens ein Traum erfüllt, dann ist das Gefühl des Glücks besonders stark und nahe. Doch wie lange lässt es sich festhalten?

Plötzlich ist die Angst wieder da, der erneut aufgeflammte Traum könnte unerreichbar sein. Wo gerade noch Glück war, entsteht wieder Leere. Das Sehnen schlägt um in zwanghaftes Suchen nach Erfüllung. Es will wiederholt werden. Wieder... und wieder.

Die Sehnsucht vermischt sich mit dem Möglichen. Sie eilt dem Leben voraus und sucht in Tagträumen und den Rissen der Wirklichkeit nach dem, was fehlt. Sie findet das, was sein könnte, und weist über das, was schon ist, hinaus.


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