Dienstag, 13. März 2012

Ad acta Urheberrecht

Warum ACTA-Gegner Internet-Egoisten sind
Von Markus Reiter


Lassen Sie mich mit einer persönlichen Geschichte beginnen: Vor einiger Zeit habe ich ein Buch mit dem Titel "Dumm 3.0" veröffentlicht. Darin verteidige ich unter anderem die Grundprinzipien des geltenden Urheberrechts. Schon recht bald wurde mir daraufhin in vielen Blogs und Einträgen in Internetforen entgegengehalten: Das Urheberrecht sei von gestern. Es passe nicht in die "Kultur des Teilens", die sich im Internet etabliert haben.

Im Grunde sei es eine Unverschämtheit, wenn ich erwarten würde, dass Menschen für den Kauf meines Buches Geld ausgeben. Meine Gedanken seien für alle da. Schließlich fußten sie auf den Gedanken früherer Generationen, derer ich mich bediene. Wolle ich künftig mit geistigen Leistungen Geld verdienen, solle ich meine Bücher einfach kostenlos ins Internet stellen. Dadurch erweckte ich das Interesse anderer und könnte für Vorträge und Lesungen Honorar kassieren.

Kurz nach Erscheinen des Buches luden mich mehrere Internetvereine zu Podiumsdiskussionen und Vorträgen ein. Allerdings, so beschied man mir, könne man mir leider kein Honorar zahlen. Das sei aber sicherlich nicht so schlimm. Immerhin sei der öffentliche Auftritt Werbung für mein Buch. Diese Anekdote entlarvt die Verlogenheit in der Debatte um das Urheberrecht.

Junge Menschen kommentieren nicht nur in Blogs, sie demonstrieren sogar in vielen Großstädten gegen das internationale ACTA-Abkommen. In ihrem eigenen Selbstverständnis sind sie Freiheitskämpfer. Sie sehen sich als Aktivisten, die sich einer bösen Verwertungsindustrie und einem überwachungstrunkenen Polizeistaat entgegenstellen.

In Wirklichkeit sind sie Egoisten, die für ihr vermeintliches Recht auf Raubkopien auf die Straße gehen. Sie betreiben üble Camouflage, indem sie die Musik von Lady Gaga, den jüngsten Hollywood-Streifen und das coole Videospiel zum Erbe der Menschheit und deren kostenlosen Download zum Menschenrecht erklären.

Bis vor kurzem hatte ich mein Büro in einem Kreativzentrum. Dort arbeiteten viele junge Grafikdesigner, Musiker, Musikproduzenten, Modeschöpfer, Journalisten, Autoren und Internetprogrammierer. In diesem Kreis habe ich nur sehr wenige Menschen getroffen, die das Urheberrecht über Bord werfen wollen. Kein Wunder: Sie sind nicht nur Nutznießer kreativer Leistungen. Und sie müssen Brot, Milch, ihre Miete und den Latte Macchiato mit den Erlösen ihrer geistigen Arbeit bezahlen.

Diesen Kreativen ist eine angebliche "Kultur des Teilens" im Internet zu Recht suspekt. Einer Kultur, der es in erster Linie darum geht, anderer Leute geistiges Eigentum ohne Bezahlung zu teilen. Niemand darf daran gehindert werden, seine Werke der Menschheit zu schenken. Aber niemand sollte dazu gezwungen sein.

Diejenigen, die das Urheberrecht für überholt halten, argumentieren: "Pech gehabt! Euer Geschäftsmodell ist eben durch das Internet zusammengebrochen. Sucht euch ein neues!" Es geht aber nicht um ein Geschäftsmodell, sondern um eine Rechtsordnung.

Ein Vergleich: Wenn Kaufhäuser in wirtschaftliche Schwierigkeiten geraten, weil die Konsumenten lieber im Internet einkaufen, mag das für die Mitarbeiter und für die Innenstädte bedauerlich sein - aber es ist eben nur das Ende eines Geschäftsmodells. Wenn man aber plötzlich das Prinzip in Frage stellen würde, überhaupt Waren gegen Aussicht auf Profit zu verkaufen, hätten wir ein Problem - und recht bald eine Mangelwirtschaft.

Die Urheberrechts-Piraten sollten endlich aufhören, sich zu Freiheitskämpfern zu stilisieren. Sie sind von Gier getriebene Egoisten, denen es darum geht, auch in Zukunft kostenlos Filme, Musik, Videospiele und Bücher aus dem Netz herunterzuladen. Das zuzugeben, wäre zumindest mutig.



Markus Reiter arbeitet als Schreibtrainer, Journalist und Publizist. Er studierte Politikwissenschaft, Volkswirtschaftslehre und Geschichte an den Universitäten Bamberg, Edinburgh und FU Berlin. Unter anderem war er Feuilletonredakteur der FAZ und schreibt Bücher über Kultur, Sprache und Kommunikation.

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