Sonntag, 15. April 2012

Sonntag der göttlichen Barmherzigkeit: Ein paar Gedanken

"Friede sei mit euch!", mit diesen Worten begrüßt Jesus zehn von zwölf Jüngern. Warum wünscht er Frieden und nicht gute Gesundheit, oder viel gebräuchlicher einen Guten Tag?

Der auferstandene Jesus wünscht Frieden als besonderes Geschenk. Wir wissen alle, dass sich der Frieden nicht einfach so erlangen lässt. Man muss lange Zeit nach dem Frieden streben - nach Frieden mit Gott, mit den Menschen und mit sich selbst.

Grad diese letzte Dimension des Friedens ist möglicherweise die, die am schwersten zu erlangen ist. Ich habe tagtäglich mit einer Vielzahl äußerst unterschiedlicher Menschen zu tun, jeder kommt mit Schmerzen zu mir und erwartet, dass ich sie ihm nehme. Einige wissen, viele verdrängen, dass Schmerz und Leid aber nicht immer und nicht ausschließlich aufgrund von Verspannungen und Blockierungen in Muskeln und Gelenken entsteht.
Oft schmunzle ich, wenn mir dann Frau Meier im Halbscherz sagt, dass sie auch ziemlich was am Kopf haben muss. Da hat sie für einen kleinen Moment Einblick in ihr Seelenleben und stellt fest, wie fest nicht nur ihr Körper in falscher Bewegung hängt, sondern auch, wie fest Seele und Herz an Problemen kleben und wie wenig sie davon los kommt. Oftmals wollen Frau Meier und Herr Schulz das auch gar nicht. Denn nach anatomischen und biomechanischen Lösungen zu suchen, ist häufig angenehmer, als sich den eigenen Dämonen zu stellen.

Körper und Geist bedingen einander, das sagte ich meinen Patienten sehr häufig. Und bin ich mit mir selbst nicht im Reinen, kann ich auch für niemand anderen da sein und ihm versuchen Zuversicht und Vertrauen in die eigenen Fähigkeiten zu geben. Da fehlt mir also der innere Frieden...

Sehr häufig erzählen mir Atheisten, Agnostiker und auch "gestandenen" Christen, dass sie auf ein Zeichen von Gott gewartet haben, aber nie etwas von ihm bekommen haben. "Also kann es auch keinen Gott geben!"
Für mich selbst habe ich entdeckt, dass es wohl an der Art des Bittens und des Betens liegt. Wir hoffen auf die Tat eines "allmächtigen Gottes" - was, wenn es ihm gar nicht gibt? Der griechische Originaltext des Vater Unser spricht nämlich von einem "allherrschenden Gott".
Ich weiß nicht, wie es zu diesem Übersetzungs"fehler" gekommen ist, vermutlich lagen die zu übertragenden Worte sehr eng bei einander in ihrer Bedeutung. Ist es nun ein "Himmel" oder das "Firmament"?

Ich habe also nach einem Ausweg gesucht, der mit der christlichen Theologie vereinbar ist. Ob nun neurophysiologisch nachweisbar oder nicht, gab Gott den Menschen einen freien Willen. Die Bitte "Gott, mach, dass ich nicht in der Klausur durchfalle", wäre also böser Verstoß gegen das Recht auf Selbstbestimmung, dass uns sogar per Verfassung und Menschenrecht zugesichert wird. Was verlangen wir da?
Bei mir fand ein Umdenken statt, hin zu einem Beten, dass sehr viel persönlicher und egozentrischer ist. Wie geil! Seit einigen Jahren schon bitte ich Gott, dass er mir nur beisteht. Und in diesem Vertrauen kann ich dann meine Probleme selbst bewältigen. Das ist zwar nicht der Stein der Weisen, aber es schafft einen Frieden mit Gott, weil Schöpfer und Geschöpf nun nicht mehr vor unlösbaren Aufgaben stehen.
Habe ich nicht als "intelligentestes Wesen auf der Erde" alle Mittel, um meine Probleme selbst in den Griff zu bekommen - mangelt es mir nicht einfach nur am nötigen Selbstvertrauen? Da ist es gut, wenn jemand an uns glaubt. So schließt sich der Kreis des Glaubens an Gott, ich glaub an ihn und er glaubt an mich.

Denke ich an Frieden mit den Menschen, denke ich auch an Abhängigkeit von der Gnade der anderen. Das Leid des Opfers ist abhängig vom Maß der (Un-)Gnade des Täters. Der Schüler ist abhängig vom Wohlwollen des Lehrers. Die Tochter ist abhängig vom Taschengeld ihrer Eltern. Und die Weltwirtschaft ist abhängig von der Maßlosigkeit der Banker.
So oft kommen wir in Situationen, denen wir dem anderen im Großen oder im Kleinen Gewalt antun und uns ihm gegenüber ungerecht verhalten. Und so oft ziehen unsere Taten eine genau so grausame Unumkehrbarkeit unseres Handelns mit sich. "Wie gern würd ich das ändern! Wie gern hätt ich eine Zeitmaschine!"
Auch hier wünscht und schenkt Jesus seinen Jüngern Frieden. Denn er wusste wohl auch, wie viel Leid sie um seines Namens willen noch werden erdulden müssen. Leid, dass ein Mensch einem anderen Menschen zu fügt.
Das ist heute nicht anders. Und wir sind heute keine anderen Jünger als die Zwölf Apostel und eine Schar an Gläubigen aus Frauen, Kindern und Männern unterschiedlichster Berufe, sozialer Schichten und Ethnien.

Vorhin sprach ich von Atheisten, Agnostikern und gestandenen Christen, die von Gott enttäuscht wurden. Vielleicht ist da das heutige Evangelium der beste Text. Inoffiziell wird diese Perikope auch "Die Geschichte vom ungläubigen Thomas" genannt. Die klassische, theologische Lesart deutet diesen Text als den von einem Zweifler. Thomas kann die Auferstehung - obwohl seine Freunde ihm davon berichten - nicht fassen. Für ihn wird sie durch ein Anfassen fassbar. Er muss sehen, er muss spüren, dass der Jesus, den er am Kreuz hängen und sterben gesehen hat, wirklich wieder am Leben ist. Also stellt er die Bedingung: "Wenn ich nicht die Male der Nägel an seinen Händen sehe und wenn ich meinen Finger nicht in die Male der Nägel und meine Hand nicht in seine Seite lege, glaube ich nicht."

Damit ist Thomas praktisch DAS Bild des modernen, aufgeklärten Menschen. Erst das, was sich als existent offenbart, ist auch real. So bleiben wir frei von Enttäuschungen.
Doch Thomas erhält dadurch noch eine Erkenntnis. Er sieht nicht nur, dass Jesus lebendig ist, er erkennt ihn als Gott. [vgl. Dreieinigkeit]
Die jüdisch-christliche Tradition versteht in dem Wort "erkennen" das Begreifen (Meine Wortwahl ist heute auch wieder sehr realistisch angelegt...) eines anderen Menschen in seiner kompletten Existenz. Adam und Eva erkannten sich. Das ist nicht nur ein prüdes Wort für Sex. Beide Partner hatten von diesem Moment an keine Geheimnisse mehr vor einander. Sie waren nackt voreinander, und jeder nahm den anderen völlig bedingungslos mit allen Fehlern und allen Talenten an.

Seit ich den Atheismus als Glauben begriffen habe, verstehe ich ihn auch zu sehens. Denn auch die Verneinung eines Gottes bleibt letztendlich nur eine Annahme.
Aber war Thomas ein Atheist? Bestimmt nicht. Vor einigen Jahren fragte mein Diakon mich nach einer Andacht mal, warum Thomas gezweifelt hat. Denn ich wollte von ihm wissen, warum ich Thomas und den Atheismus so oft zusammen bringe.
Versetzen wir uns einfach mal Thomas' Lage: Er ist Teil einer Gruppe, die sich um einen Mann versammelt, der behauptet hat, der Sohn Gottes zu sein und die Menschheit - damals speziell die jüdische Gemeinde - zu befreien. Dieser Mann, Jesus, tat Wunder: er hat Kranke geheilt und sogar drei Menschen ins Leben zurückgerufen. Und dann wird dieser "Heiland" gefangen genommen, gefoltert und mit einem Balken an einen Stamm genagelt. Und dort ist er - für die damalige Zeit - auf schlimmste Art und Weise verreckt.

Kann man sich die Wut, die Trauer, das Leid und den Schmerz vorstellen, die Thomas empfunden haben muss?

Und dann kommen zehn Männer an, denen es genauso ergangen sein mag und die sich in einem stickigen Raum eingeschlossen hatten, und behaupten, dass dieser wahnsinnig tolle Mensch Jesus wieder leben soll? Der, der doch tot ist?
Ganz bestimmt sind sie einer Massenhysterie erlegen. Eine ganze Woche in einem einzigen Raum? Kein Wunder, dass sie Gespenster gesehen haben!!! Gut, dass ich nicht da war.
Aber was, wenn sie doch Recht haben? Immerhin, sie reden von Jesus! Und diese Zehn sich ja auch nicht irgendwer...
Thomas wünscht sich den Frieden zurück, den er immer empfunden hat, als er mit Jesus unterwegs war und er beschließt zu vertrauen.

"...sei nicht ungläubig, sondern gläubig!"

Sonntag der göttlichen Barmherzigkeit: Frieden und Glauben

Aus dem Evangelium nach Johannes (Joh 20,19-31)

Am Abend dieses ersten Tages der Woche,
als die Jünger aus Furcht vor den Juden
die Türen verschlossen hatten,
kam Jesus,
trat in ihre Mitte
und sagte zu ihnen: Friede sei mit euch!
Nach diesen Worten
zeigte er ihnen seine Hände und seine Seite.
Da freuten sich die Jünger, dass sie den Herrn sahen.

Jesus sagte noch einmal zu ihnen: Friede sei mit euch!
Wie mich der Vater gesandt hat,
so sende ich euch.
Nachdem er das gesagt hatte,
hauchte er sie an
und sprach zu ihnen: Empfangt den Heiligen Geist!
Wem ihr die Sünden vergebt,
dem sind sie vergeben;
wem ihr die Vergebung verweigert,
dem ist sie verweigert.

Thomas, genannt Didymus - Zwilling -, einer der Zwölf,
war nicht bei ihnen, als Jesus kam.
Die anderen Jünger sagten zu ihm:
Wir haben den Herrn gesehen.
Er entgegnete ihnen:
Wenn ich nicht die Male der Nägel an seinen Händen sehe
und wenn ich meinen Finger nicht in die Male der Nägel
und meine Hand nicht in seine Seite lege,
glaube ich nicht.

Acht Tage darauf waren seine Jünger wieder versammelt,
und Thomas war dabei.
Die Türen waren verschlossen.

Da kam Jesus,
trat in ihre Mitte
und sagte: Friede sei mit euch!

Dann sagte er zu Thomas:
Streck deinen Finger aus
- hier sind meine Hände!
Streck deine Hand aus und leg sie in meine Seite,
und sei nicht ungläubig, sondern gläubig!

Thomas antwortete ihm:
Mein Herr und mein Gott!
Jesus sagte zu ihm:
Weil du mich gesehen hast, glaubst du.
Selig sind, die nicht sehen und doch glauben.

Noch viele andere Zeichen,
die in diesem Buch nicht aufgeschrieben sind,
hat Jesus vor den Augen seiner Jünger getan.
Diese aber sind aufgeschrieben,
damit ihr glaubt, dass Jesus der Messias ist,
der Sohn Gottes,
und damit ihr durch den Glauben
das Leben habt in seinem Namen.