Montag, 28. Februar 2011

Partnersuche im Internet

Von Martin Tschechne

"Jemand wartet auf Dich." In grauen Zeiten und so lange kein Frühling in Sicht ist, vermittelt die Botschaft von der Plakatwand einen kleinen Wärmestoß. Die Blumenhändler und Bonbonverkäufer haben Konkurrenz bekommen. Eine neue Branche geht in die Offensive. Bislang hat sie sich ohne allzu große Öffentlichkeitskampagnen eher leise entwickelt.

Aber jetzt ist die Zeit reif für das Geschäft mit der Liebe selbst, nicht mit Symbolen und Accessoires: Die Vermittlung von bindungsbereiten, Bindung suchenden Frauen und Männern online und gegen Gebühr ist ein Markt, auf dem schon heute Millionen bewegt werden. Millionen von liebesbedürftigen Menschen, wohlgemerkt. Sagt das etwas aus über die Natur unserer Beziehungen? Hat sich da etwas geändert?

Die Geschäftsidee ist genial, weil genial einfach: Wenn Millionen von Menschen sich den größeren Teil ihrer wachen Zeit über im Internet bewegen, so werden sich die Begründer der so ungemein erfolgreichen Partner-Vermittlungs-Börsen gedacht haben, wenn sie dort Bücher bestellen, Lebensmittel einkaufen, Zeitung lesen und ihre Meinung verbreiten - dann könnten sie im Netz doch auch auf ihren Partner fürs Leben stoßen. Mit höherer Wahrscheinlichkeit jedenfalls als nach der traditionellen Methode auf dem Feuerwehrfest, im Wochenmarkt oder beim Sonntagsspaziergang nach der Kirche.

Was die Geschäftsidee so attraktiv macht, ist das Versprechen, es mit den neuen, auf psychologischer Erkenntnis beruhenden Methoden besser zu machen, sicherer und verlässlicher, als es früher möglich war. Früher war da viel Zufall im Spiel: die zufällige Begegnung, der Charme eines Augenblicks, der Blitz aus heiterem Himmel. Man sprach dabei von Romantik, von Schmetterlingen im Bauch.

Aber Zufall bedeutet ja auch Unsicherheit: Wer weiß schon, ob sich hinter dem so verführerischen Äußeren nicht eine Zicke verbirgt oder ein übler Stinkstiefel? Das Produkt dagegen, für das so verlockend geworben wird, ist so eine Art Partnerschaft mit Versicherungspolice. Das sagt natürlich eine Menge aus - noch nicht sofort über die Natur unserer Beziehungen, aber ganz gewiss etwas über die kleinlaute Natur unserer Befürchtungen: Bitte, lass mich nicht an den Falschen geraten!

Um das zu verhindern, füllt der liebesbedürftige Mensch an seinem Laptop einen umfangreichen Fragebogen aus. Je umfangreicher, so wird ihm nahelegt (suggeriert), je ehrlicher und freigiebiger er mit der Auskunft über sich selbst ist, desto besser wird sein zukünftiger Partner zu ihm passen. Denn der hat ja auch offen und freigiebig preisgegeben, was einmal als Fundament einer lebenslangen Beziehung dienen soll: Bildungsstand und berufliche Situation, Weltanschauung, sexuelle Orientierung und die allgemeine Struktur seiner Persönlichkeit. Hat dann auf "enter" geklickt und alles in die Datenbank des Unternehmens anvertraut.

Zehn Millionen solcher Datensätze liegen allein auf dem Server des Marktführers. Und die Konkurrenz ist zahlreich, die verspricht, Partner mit Niveau und Bildung an Suchende mit Niveau und Bildung zu vermitteln. Akademiker bevorzugt. Wenn man alle zusammenrechnet, nur die Kunden der vier, fünf Großen der Branche, dann dürfte eigentlich kaum ein Deutscher im bindungsfähigen Alter - außer Ihnen und mir versteht sich - seine intimsten Daten noch nicht in den Computern der Online-Partner-Vermittlungs-Agenturen abgelegt haben. Dort werden sie treu und redlich gehütet. Hoffentlich!

Der Erfinder des Verfahrens aber, ein würdiger Psychologe aus Hamburg, ein Forscher reinsten Wassers, schöpft hin und wieder aus diesem Ozean an Daten - natürlich anonym und ohne Ansehen der einzelnen Person - und analysiert, was sich so tut auf der Beziehungsebene. Und was findet er heraus? Das ist beinahe paradox. Dass die moderne Partnerschaft keineswegs so haltbar und so dauerhaft ist, wie es die traditionellen waren. Die nämlich, die beim Feuerwehrfest oder auf dem Sonntagsspaziergang ihren Anfang nahmen.


Dr. Martin Tschechne ist Journalist und lebt in Hamburg. Er promovierte als Psychologe mit einer Arbeit zum Thema Hochbegabte. Zuletzt erschien seine Biografie des Begabungsforschers William Stern im Verlag Ellert & Richter (herausgegeben von der ZEIT- Stiftung Ebelin und Gerd Bucerius).

(c) Deutschlandradio Kultur, Politisches Feuilleton (bearbeitet: Sendefassung)

Samstag, 26. Februar 2011

Musik



...und ab nach Kansas!

Freitag, 25. Februar 2011

Mehr Erziehung bitte. Ein Kommentar.

Eigentlich hatte ich gar keine Komlumne für heute geplant, sonst gewöhnt ihr euch noch daran, dass ich täglich poste! Aber gerade hatte mich ein Moment der Langeweile gepackt und ich habe mir einen der Links vorgenommen, die ich mir schon zusammengesucht habe, für wenn es mal soweit kommt. Ein eiserner Vorrat für schlechte Zeiten, wenn man so will.
Und nun gibt's keine Langeweile mehr.

Ich bin sogar doppelt schwach geworden, muss ich gestehen. Nicht nur, dass ich gerade einen neuen Text schreibe, ich habe sogar noch einen anderen zuvor hochgeladen. Besagten Langeweiletilger eben. Er stammt aus der Feder, wie könnte es anders auch sein?!, von Konstantin Sakkas und ist schon ein kleines bisschen älter.
Wenn ich so auf das Datum schaue, wird mir auch klar, warum ich den Text nicht kenne. Im Dezember 2009, in hiesigen Archiv findet ihr den Artikel ("Bildungsdilemma") dort auch, war ich im Praktikum in einer Klinik, für das ich schon um fünf Uhr morgens aufstehen musste, um mich dann total verpennt zum Bahnhof zu schleppen und dann Regio und Bus zu fahren. Keine Gelegenheit um zwanzig nach sieben entspannt Radio zu hören, man begann ja schon 10 Minuten später mit der Heilung gebrechlicher Menschen. Einer disziplinierten Chefin sei das gedankt!

Kommen wir nun zum Eigentlichen: Die Unterschrift des Bildes lautet "Was muss sich an den Universitäten ändern?" Doch muss sich dort überhaupt etwas ändern? Der Autor analysiert, dass das Bildungsproblem in Wahrheit keine Ursache sondern ein Symptom unserer kränkelnden Gesellschaft ist. Ein Jahr später wird er einen weiteren Artikel mit dem Titel "Kein Volk von Dichtern und Denkern" schreiben, der junge Doktorand hat offensichtlich sein Thema gefunden, und ganz richtig, wir erinnern uns, dass aus unserem Lande die ganzen bedeutenden Dichter und Denker stammen, Goethe, Schiller, Shakespeare (ach nee, der war ja Brite - zu viel Star Trek heute...), Kant, Bonhoeffer u.v.a.
Und dann kommt er zu Respekt, Anstand und Disziplin. Ich bemerke das an meinen Neffen, der eine hängt rum, wie ein Schluck Wasser, während ich mit ihm französische Vokabeln üben soll. (Auf sein Haltungsprobelm achtet mein fachliches Auge schon gar nicht.) Und der andere wird ausfallend seiner Klassenlehrerin gegenüber. (Den Grund hab ich geschockt schon verdrängt! *zack*)

Die Dummheit und Antriebslosigkeit unserer Kinder ist eine arg böse Erscheinung, die aber eben daraus gründet, dass die Wurzeln jeder Gesellschaft, die Eltern, es durch Absicht oder Gleichgültigkeit versäumen, ihren Kindern tradionelle Werte, Regeln und Benimm beizubringen. Und aus der inneren Haltung, der inneren Einstellung erwächst doch alles! Aus unseren Leidenschaften heraus werden Hobbys zu Überzeugungen und Berufen und manchmal auch zu Be-rufungen. Aus unseren Leidenschaften heraus entzünden wir kleine Flämmchen und große Feuer und geben sie weiter. Aber wo die Grundlage versäumt wird, zu legen, da kann nicht das Feuer unserer Herzen überspringen.

Blicken wir aber mal auf die "tradionellen Werte, Regeln und Benimm". Mein Vater würde bei sich bei diesen Worten einklinken, er würde sagen, dass von den heutigen Eltern doch keiner mehr wert auf das traditionelle lege. Es sei überholt, das hätten schon die eigenen Eltern gemacht. Und ich würde hinzusetzen, "Und was die eigenen Eltern gemacht haben, will ich viel besser, nämlich anders machen." Das Küken ist immer schlauer als die Henne, nicht wahr?

Das Finden von Lösungen für dieses Verantwortungsproblem, und das ist es ja letztendlich, ist aber auch nicht das leichteste. Wie bekommt man die jetzigen und zukünfigen Eltern wieder dazu, hinzusehen, was ihre Sprösslinge da machen, sich wieder verantwortlich dafür zu fühlen, dass durch ihre Grundsteinerziehung unsere Dichter- und Denkergesellschaft, das Land in dem die Reformation und die erste friedliche Revolution stattfanden, zukunftsfest macht?
Worin hat diese egalitäre Einstellung "Och, Kindergartenerzieherinnen und Lehrer werden es schon richten, ich muss Schuhe kaufen und an meinem Audi schrauben!" ihren Ursprung? Was ist in den letzten Jahrzehnten falschgelaufen? Warum schiebt man Arbeit von sich auf andere ab, die eigentlich nur ich machen kann?

Ist das jetzt der Moment, wo ich eine meiner Lieblingsfragen anbringen muss? "Was willst du, Will Riker?"
Was will ich, wenn ich Mutter/Vater bin, meinem Kind auf den Weg mitgeben? Ich vermute, darüber sind sich viele angehende und seiende Eltern überhaupt nicht im Klaren.

Und dann auch noch folgendes: Schafft man etwas nicht, tja, dann lässt man es einfach sein. Ein Kartenhaus bspw. kann stehen! Man muss sich nur die richtigen Bedingungen schaffen. Fällt man durch eine Prüfung, im Abi, in der Ausbildung, im Studium, tja, dann wiederholt man sie - und fragt sich in der Vorbereitung, warum es beim ersten Mal daneben gegangen ist. Gefahr erkannt, Gefahr gebannt. Man muss es nur machen!

Querverweis auf die Art und Weise in der heutzutage Beziehungen geführt werden: ich meine ganz entschieden, man trennt sich einfach viel zu schnell. Klappt es nicht, tja, dann wird einfach ein bisschen geheult und dann wird ein neuer Fickschlitten gesucht.
Aber ist das Liebe? "Drum prüfe, wer sich (ewig) bindet", ist kein übler Rat. Denn von niemandem, der nicht Herz, Stärke und Stirn beweist, wird man Halt und Sicherheit in allen Lebenslagen bekommen.
Aber das kalte Bett! Ja, das kalte Bett ist eben ein Bett. Da schläft man, mehr nicht. So komm ich da jeden Abend rein. Hm und wie wieder raus? Ich freue mich auf meine Tasse Kaffee und eine Runde Deutschlandradio!

Ich selbst habe eine meiner Examensprüfungen vergeigt. Und ja, ich hatte meine Momente und Wochen des Zweifels. Aber dann habe ich mich hingesetzt und gelernt und gefragt und hinterfragt und bis besser geworden, als ich zuvor war - und ich hab's geschafft!
Deine Wahrnehmung, dein Bewusstsein formt die Wirklichkeit. Wie sagte Seneca schon? "Nicht weil die Dinge schwierig sind, wagen wir sie nicht, sondern weil wir sie nicht wagen, sind die schwierig!"

Donnerstag, 24. Februar 2011

Brauchbar und positiv



So hält man also das Wahlfleisch dumm, aha. Ach was, wir haben auch kein LSD im Trinkwasser. Haltelose Drohungen... Oh, wie schön, die Wände verschwimmen schon wieder!

...das Ende dieser Regierung

*dedöm*

Über parlamentarische Arbeit



Wie war das doch gleich nochmal mit dem Streit um die Erhöhung des Regelsatzes für Hartz-IV-Empfänger?

's dauert halt noch a bissel... nur Geduld!

Mittwoch, 23. Februar 2011

Der (un)beliebteste Politiker Deutschlands?

Einen festen Standpunkt zu Karl-Theodor zu Guttenberg hatte ich noch nie. Was mich zur Zeit viel mehr stört, ist das ewige Zerr(r)eden der Medien. Wie ein Tier verbeißen sich die Journalisten in dem "Plagiatsskandal" und reden und fordern...

Heute habe ich neben meinem Vater in seinem Auto Radio Berlin 88,8 gehört und mir kam bald das Ko...., der Moderator wagte es doch tatsächlich zu behaupten "und vermutlich wird er seinen Rücktritt bekannt geben" [freies Zitat]. Ich meine, man kennt das ja schon, noch am Morgen beteuerte der Politiker "Das ist nicht mein Verschulden" und am Nachmittag teilt mir der Nachrichtensprecher mit, besagtes Kind sei zurückgetreten.
Aber mein Bauchgefühl hat mir eindeutig gesagt, dass diese "Affäre" (Na, Süße *zwinker*) noch zu frisch ist, um diese Reaktion eines Politikers zu bringen. Trefflicherweise hat mich mein Bauchgefühl auch in den letzten vier Jahren nicht einmal getrügt.

Wie auch immer, aufgrund dieses Zirkus' bin ich geneigt, sehr stark zu befürworten, dass der Bundesverteidigungsminister im Amt bleibt, noch dazu, weil die Doktorarbeit in keiner Relation zu seiner Regierungsarbeit steht. Man führe sich doch bitte vor Augen, dass eine wissenschaftliche Dissertation kein Gesetzesentwurf oder gar eine Kriegserklärung gegen die Vereinigten Staaten von Amerika ist!
Noch Anfang der Woche erklärte ich erst jemandem, dass ich der Meinung bin, die gesamte Politik sei im Moment ein "verdammter Kindergarten". (Manchmal wäre RAF-Terror oder ein Innensenator, der die Bundeswehr und die Pioniertruppen der NATO für einen inländischen Einsatz anfordert, eine willkommene, gehaltvolle Abwechslung!) Doch meine ich das nun auch über die sogenannte Pressefreiheit. Wo keine Probleme sind, da wird gesucht und gegraben und geredet, auf dass es doch weniger langweilig auf der Schreibmaschine sei...
Und wieder mal: "Handle nur nach derjenigen Maxime, von der du denkst, dass sie ein allgemein gültiges Gesetz werde!"

Gewiss, "es geht um wahres Wissen", so Peter Strohschneider, ehemaliger Vorsitzender des Wissenschaftsrates, aber die aktuellen Diskussionen um den Titel zu Guttenbergs seien laut Strohschneider dagegen nicht wissenschaftlich, sondern politisch: "In dieser Debatte geht es um Machtansprüche, um Positionsbehauptungen. Es geht sozusagen nicht um Wahrheit."

Ich lade herzlich dazu ein, dass Interview mit Peter Strohschneider auf DRadio Kultur anzuhören. Er führt dort das ganze noch genauer aus. Besonders hat mir dabei gefallen, dass sich der Interviewte nicht von der Journalisten hat verleiten lassen, die Grenze zwischen Wissenschaft und Politik zu verwischen. [Das Interview ist noch bis zum 23.07.11 vollständig verfügbar.]

http://www.dradio.de/dkultur/sendungen/thema/1395831/

P.S. Wie kommt eigentlich das ZDF-Politbarometer immer auf diese tollen Umfragergebnisse für Herrn zu Guttenberg, wenn doch in Wahrheit "alle" gegen ihn sind??? Ich bin auf die nächste Sendung gespannt...

Apropos Volksbildung

Na da ist mir ja in meinem Eröffnungstext ein Schnitzer passiert. Peinliche Sache, das. Eigentlich war ich gerade auf der Suche nach einer Erklärung dafür, warum Dominicus Savio immer mit Buch abgebildet wird.

Bei der Lektüre über den Gründer des Dominiker-Ordens fiel mir ins Auge, dass dessen bürgerlicher Namen nicht Savio sondern de Guzmán ist, Domingo de Guzmán (1170-1221). Dieser war Sohn eines kastilischen Gutsherrn in Spanien und lebte in einer sehr religiösen Familie, er hatte zwei Brüder von denen einer und ihre Mutter selig gesprochen wurden.

Schon ziemlich zeitig wurde der kleine Domingo zu seinem Onkel, einem Erzpriester, geschickt um dort unterrichtet zu werden, nach einem weiteren Studium begann Domingo ein Theologie und Philosophie zu studieren. Und als bald trat er dem Augustiner-Orden bei, wo zügig zum Prior einer Gemeinde ernant wurde.
Als er mit seinem Bischof reiste, stellte er bedeutende Defizite in der geistigen Bildung vieler Missionare in Frankreich fest. Selbst als Prediger unterwegs merkte er außerdem schnell, dass eine disziplinierte Art und intensives Studium bessere Erfolge gegen die verbreitete Ketzerei einbrachten.

Dominikus blieb zwar die Gründung eines eigenen Ordens verwert, durfte aber eine andere Ordensregel übernehmen. Die der Augustiner erweiterte er um die Armut, denn seien Erfahrung zeigte, dass durch die Fixiertheit der Kriche auf Materielles ihre eigene Glaubwürdigkeit zunicht gemacht würde - "Sie predigen Wasser und saufen Wein", wenn man so will. Dominikus gründete zahlreiche Klöster. "Seine" Ordensleute wurden gut ausgebildet um der Argumentation der Ketzer (Ich liebe dieses Wort!) in angemessener Weise entgegentreten zu können.

Im Jahre des Herrn 1216 wurde dann doch die Gründung genehmigt. "Der Orden der Prediger" ihr offizieller Name.

Dominikus Tod ist tragisch, spiegelt aber sein Leben in Reinform wider: Er starb im Bett eines Mitbruders und im Habit eines Mitbruders, der er nur seinen einzigen geschundenen am Leibe trug.

Er ist der Schutzpatron der Astronomen, der Wissenschaftler, der fälschlich Angeklagten u.a.m.

Dominicus Savio (1842-1857) hingegen war der Lieblingsschüler von Don Bosco, einem berühmten katholischen Priester in Italien. Don Bosco engagierte sich stark für die Jugend in und um Turin und versuchte ihnen durch seine "Pädagogik der Vorsorge" Hilfe zu leisten.
Savio galt als charasmatischer und begabter Schüler/Helfer. Doch starb er nur zwei Jahre, nachdem er zu Don Bosco gekommen ist, an Lungentuberkulose.

In der Biographie, die Don Bosco selbst über Savio schrieb, wurde dieser als Ideal eines vorbildlichen Schülers und überzeugten jungen Christen beschrieben.

Sowohl das Bild des Schülers wie auch das des armen Predigers passen gut zum neuen Grundgedanken des Literaturarchivs, in dem es ja nicht nur um Buchbesprechungen gehen soll, sondern mit noch einigen weiteren Themen unserer Gesellschaft gearbeitet werden soll.

Nichts destotrotz bin ich nun wieder an dem Punkt, an dem ich schon 2009 war, welche Bedeutung hat Dominicus Savio auf dem Lesetisch von Elke Heidenreich? Und die Gretchenfrage aller Fragen: wie hält sie's mit der Religion?
In all den Sendungen von weiterlesen! der lit.COLOGNE lies sie es nicht einmal verlässlich durchblicken und auch in dem von ihr so verabscheuten Internet findet sich keine Angabe zu ihrer (aktiven) Religionszugehörigkeit. Einzig eine Folge von weiterlesen! gibt einen Hinweis.
"Krippe elfteilig". Das Video dazu gibt es noch bei youtube. (Und ich geb zu, im ersten Augenblick war ich verstört. Doch "dazu noch ein Tannenzweiglein, ein Teelicht - Frohe Weihnacht!" wurde in jenem Jahr bald zu einem running-gag zwischen meiner Mutter und mir, wenn es um die weltliche Vorweihnachtszeit ging. (Dominicus Savio hielt den Schuber... *sigh*))

Neuer Anspruch an mich selbst: bessere Recherche!


Nachschlag: Oliver Fabel, Krippe elfteilig
http://www.youtube.com/watch?v=Y07JL-g0ieU

Dienstag, 22. Februar 2011

Lese man(n) doch... - Die Rezension Nr. 1

»Immer dann, wenn ich die Boxen komplett leer räumte und zum Dungplatz hinausfuhr, bedeutete ich Monti mich zu begleiten, er rannte folgsam neben dem Traktor her, obwohl er den Regen nicht mochte, und wartete geduldig, bis ich den Anhänger abgeladen hatte, für gewöhnlich ließ ich den Motor , und wenn sich dann eins der Pferde aus dem Nebel löste und auf mich zutrat, erschrak ich bis ins Mark weil ich seine Tritte nicht gehört hatte. Ich stieg jedes Mal ab und sagte hi horse, doch es fiel zunehmend schwerer, die Lippen auseinander zu bewegen, ich fühlte, dass es Laute geben müsse, die besser dazu geeignet waren, das auszudrücken, was in mir war und nach außen dringen wollte, und bald fand sich ein monoton klagender Laut, der tief in meinem Inneren erwuchs und bei geschlossen Lippen und jegliche Anstrengung zu produzieren war und der sich anhörte wie der Ruf der Raubvögel, die über den Wäldern ihre Kreise zogen; und ebenso langsam und stetig, wie diese ihre Schwingen auf und nieder bewegten, verrichtete ich die einzelnen Handgriffe meiner Arbeit in ruhigem Gleichmaß. Dabei schien sich die Grenze, die zwischen mir und den Dingen war, aufzulösen, so dass alles, was ich berührte, zu einem Teil meiner selbst wurde oder ich ein Teil von ihm, es war, als verwüchse ich damit und würde immer schwerer und näherte mich dem Boden und als wären meine Beine die Wurzeln einer Pflanze und meine Hände die Schaufeln eines Tieres, und wenn ich aß, beugte ich meinen Kopf über den Teller und leckte das Essen mit der Zunge heraus.«

Die Hütte von Kathrin Groß-Striffler ist keines Falls ein Roman, der mit Action geladen ist. Würde man aus dem Buch einen Film machen wollen, wäre das Werk wohl am besten den französischen Filmen zuzuordnen. Sie haben keinen Wechsel zwischen Spannung und Entspannung, wie man es aus US-amerikanischen Produktionen kennt – ihr Zauber liegt zweifelsohne darin, dass sie sich durch ein immer gleich bleibendes Maß an Spannung auszeichnen. Aber nie extrem Fingernägel gefährdend.

Schlagen wir das Buch auf, befinden wir uns schon innerhalb kürzester Zeit im Osten der USA. Die Blue-Ridge-Mountains, ein Teil der Appalachen, bilden zweifelsfrei eine traumhafte Kulisse für Romane voll von Leidenschaft und Lust. Beides finden wir zwar nicht in Die Hütte, aber auch Kathrin Groß-Strifflers Geschichte ist hier nicht fehl am Platz: Es ist ein Psychodrama um eine junge Frau, eine deutsche Studentin, die eines Tages beschloss, vor ihrer Vergangenheit und ihrem Leben, wie es bis jetzt war, zu flüchten. Was ihr zugestoßen ist, weiß keiner; doch in einer einsamen Hütte, dem Alterssitz einer alten Dame angehörend, glaubt sie, Erlösung gewinnen und sich ein neues, befreites Leben aufbauen zu können.

Die Autorin versetzt uns an einen Ort, an dem der gemeine Leser fast glaubt, das alte Goldgräber-Gefühl wahrzunehmen. In dieser Abgeschiedenheit baut Kathrin Groß-Striffler eine kleine Welt, geprägt von Alltagsaktivitäten, auf.

Hier hin flüchtete sich Johanna, als sie erkennt, dass ihre Ehe mit Jim vom anfänglichen Glück verlassen wurde. Auch Emigranten trügt der Schein vom Glück in der Ferne öfter als man zudenken wagt. Auf dem einsamen Alterssitz einer in die Jahre gekommenen Frau quartierte sie sich ein. Dort verrichtet sie Aufgaben für die Frau, die mit Landarbeit und Bauernhof-Tierpflege beschrieben werden können. Joanna, wie sie sich von der alten Frau nennen lässt, findet auch bald einen neuen Freund im Hund Monti, der zu ihrer Hütte gehört. Mit ihm treibt sie durch Höhen und Tiefen, vorbei an Verletzungen, die sie sich und ihrem treudummen Begleiter zufügt.

In all der Alltäglichkeit und den vereinzelten Rückblicken in Johannas Vergangenheit kommt man schnell auf den Gedanken, dass Selbige Opfer einer Vergewaltigung geworden ist. Da überrascht es mich nicht, dass sich Groß-Striffler ein besonderes Schmankerl hat einfallen lassen: den Schrei! Seiner Entstehung sind Sie schon im Eingangszitat auf den Grund gegangen. Aber solch eine Eigenart der Hauptfigur ist nur die letzte, die Parallelen zu anderen preisgekrönten Werken vermuten lässt.

Die Hütte endet, wie sie begonnen hat: alltäglich! Obwohl man sich nach den letzten Zeilen mit einem offenen Ende auseinander setzten muss, hat man jedoch nicht das Gefühl, es fehle etwas.

Alles in allem, stand für mich schon recht schnell fest, dass Die Hütte dazu bestimmt war, mit einem Literaturpreis, wie dem Alfred-Döblin-Preis, ausgezeichnet zu werden:

Die Geschichte wird aus der Ich-Perspektive erzählt (was an sich noch kein Kriterium für einen Preis ist, aber es liest sich gut und macht eine Geschichte sehr viel lebendiger) und führt zum anderen in menschliche Abgründe, die durchaus faszinieren. Die Trägerin des Alfred-Döblin-Preises 2003 offenbart ferner ein großes sprachliches Können.

Nun gut, das Buch habe ich Weihnachten 2007 von meinem Schwager geschenkt bekommen – und bin, ganz nebenbei, der Literatur in fast all ihren Formen verfallen –, und somit irgendwie nicht die Neutralität in persona. Wer aber ebenfalls parataktische Sätze und eine lakonische Ausdrucksweise liebt, für den ist das Buch auf jeden Fall das Richtige!


Kathrin Groß-Striffler - Die Hütte
deutschsprachiges Original, 2. Auflage 2004
Aufbau-Verlag, Berlin
Gebundene Ausgabe, 158 Seiten
ISBN: 3-351-02989-6

Montag, 21. Februar 2011

Refit

Nachdem dieses Blog nun gut 3 Jahre mehr oder weniger nutzlos im Web verstaubte, habe ich beschlossen, es aus diesem Dornröschenschlaf wachzuküssen und es umfangreich zu erneuern.

Meine erste Aktion umfasste die Übertragung der Politischen Feuilletons aus dem Sterntagebuch in die KometenBibliothek. Sie stammen aus dem Programm von Deutschlandradio Kultur, und haben mich in den letzten Monaten beeindruckt oder spiegeln meine Ansichten über Bildung, Gesellschaft und Politik wider.
Für Interessierte, Sendezeit ist Montag bis Freitag 7 Uhr 20. Das Politische Feuilleton ist fester Bestandteil der Ortszeit, dem Magazin bei DRadio Kultur, dessen Frühausgabe mich mit aktuellen Informationen und Interviews über das tägliche Geschehen im In- und Ausland versorgt.
(Eure Frequenz könnte ihr der Internetseite des DLRs entnehmen: dradio.de.)

»Die angesehene "result-Medienanalyse" bescheinigt der "Ortszeit" ein Informationsangebot auf hohem Niveau, das qualitativ über dem anderer Radioprogramme einzustufen ist. Die Sendungen werden zur "persönlichen Meinungsbildung" herangezogen. Kompetenz, Verständlichkeit und Ausführlichkeit der "Ortszeit" finden besonderen Hörerzuspruch.« (dradio.de/wir/vistenkarte)

Für Morgen ist dann eine Umbenennung geplant (ich muss erstmal das entsprechende Menü suchen... ;). Ich habe mich für "Der kleine Lese-Mann" entschieden. Bis zum April 2009 stellte diese Figur auf dem Studiotisch von Elke Heidenreichs Sendung lesen! immer ein kleines Rästel dar. Dann bestätigte mir eine Dame vom Festival lit.COLOGNE per Mail, dass es sich um den Heiligen Dominicus Savio handele, dessen Name auch in roten Buchstaben auf dem Sockel besagter Figur stand. (War schwer zu erkennen ohne HD!)
In literaturforum.de erzählte man mir dann, dass sich der Dominikaner-Orden "die Schulung und Volksbildung, speziell für die sich herausbildenden städischen Zentren und neuen Bildungsschichten" zum Ziel gesetzt hat. (Das erste monastische Ziel lass ich mal weg, in einschlägigen Kreisen gelte ich ja Experte - hab heute meine altes Gymnasium in der Fontanestadt besucht und auch mit meinem Geschichtslehrer gesprochen -, aber ihr dürft gern Google nutzen und euch mal im Forum umsehen, welchen Aufwand ich betreibe...)

Die Schulung und Volksbildung scheint mir ein durchaus passiges Motiv für Frau Heidenreich zu sein, dem Hl. Dominikus auf ihrem Tisch Platz zugewähren.
Der Entwicklungen des letzten Jahres ist es zu verdanken, dass ich mir wohl eine recht unvorteilhafte Oberlehrermacke zugelegt habe, aber arrogant war ich ja schon immer, nech? Und so reihe ich mich vielleicht in die Gesellschaft von Frau Heidenreich, der eingebildeten Hörerschaft von Deutschlandradio und Deutschlandfunk und aller Weltverbesserer ein, die alle "kein Leben haben", wie es wohl ein Mitwohner in meiner alten WG beschreiben würde.
Und stellt sich heraus, dass ich doch auf dem Boden zu bleiben vermag, so trifft wenigstens noch das andere zu - der kleine lesende Mann.

So, was kann man noch erwarten? Auf die Namensänderung des Blogs folgt noch ein neues Design. Das jetzige hat zwar etwas von gemütlicher Schmökerstube, aber es ist alles doch recht schlecht lesbar. Das Farbschema bleibt aber.
Packt mich die Langeweile, werde ich hin und wieder eine Buchrezension schreiben. Und es folgen bestimmt weitere Politische Feuilletons und allerhand Fundstücke. Aber ich will nicht zuviel versprechen, denn ich muss ja auch irgendwann noch arbeiten gehen, und das möglichst nicht nur als Aushilfe. Ohne Moos nix los, sagt man.

Guten Abend, und Gute Nacht! Viel Spaß mit dem Refit der KometenBibliothek: Der kleine Lese-Mann.

Freitag, 11. Februar 2011

"…und das Gesetz nur kann uns Freiheit geben."

Über die Grundbedingungen von Bildung
Von Konstantin Sakkas


Eltern müssen ihren Kindern wieder beibringen, wie sie sich zu verhalten haben: taktvoll, diszipliniert und mit Selbstzurücknahme. Nur so werden sie zu rücksichtsvollen Individuen, die ihre Leidenschaften im Griff haben, ohne sich dabei selbst zu verleugnen.

"Anstand" und "Disziplin" sind spätestens seit 1968 Unwörter. Dabei sind sie für das menschliche Miteinander unerlässlich. Der Prozess der Zivilisation, wie der Anthropologe Norbert Elias ihn benannte, begann im 16. Jahrhundert mit der Einführung bestimmter Verhaltensnormen, die das Zusammenleben bei Hofe erleichtern sollten; insbesondere ging es um die Vermeidung von Gewalt, die bis dahin im Umgang miteinander selbstverständlich gewesen war. Im Lauf der Jahrhunderte wurde Höflichkeit dann zur Grundtugend, die nach und nach von allen übrigen Gesellschaftsschichten adaptiert wurde - ein Prozess, der im 19. Jahrhundert seinen Höhepunkt erreichte.

Bis zu Beginn des 20. Jahrhunderts gehörte ein Grundmaß an Anstand und Höflichkeit zu jeder Erziehung - sei es auf dem Landgut, in der Professorenvilla oder in der Arbeiterwohnung, unter Konservativen, Liberalen oder Sozialisten. Wer ins Leben hinausging, wusste in der Regel, "wie man sich zu benehmen hat". Dann aber ging es, unter dem Eindruck von Kriegen, gesellschaftlichen Umwälzungen und Gewaltherrschaft, mit der Höflichkeit steil bergab, und zugleich mit der Menschlichkeit.

Auch der Zweite Weltkrieg und die NS-Diktatur wirkten hier als Zivilisationsbruch; nicht zuletzt durch den millionenfachen Verlust von Vätern, die gefallen, in Gefangenschaft oder durch ihre Verbrechen kompromittiert waren; oder aber sich schlicht nicht mehr ins zivile Leben integrieren konnten, so dass faktisch eine ganze Generation ohne väterliches Vorbild aufwuchs. Die Folge war der Verlust einer wesentlichen und zeitlosen Kindheitserfahrung: nämlich die natürlichen und notwendigen Grenzen im Sozialverhalten aufgezeigt zu bekommen.

Die Orientierungslosigkeit der Kinder von heute hat wesentlich mit der mangelhaften Ausbildung von Anstand und Disziplin zu tun. Das Hauptproblem unserer Gesellschaft - es sei wiederholt - ist kein intellektuelles (denn nie war der Zugang zu Bildung leichter als heute); sondern ein habituelles. Es zeigt sich an jugendlichen Gewaltverbrechen ebenso wie an der eklatanten Respekt- und Disziplinlosigkeit von Grundschülern, die oft schamlos mit ihren Lehrern umgehen, sich aber vom geringsten Leistungsanspruch schnell überfordert fühlen.

Und man beobachte nur einmal "moderne" Eltern bei ihren oft hilflosen Versuchen, ihrem Kind etwas zu ge- oder verbieten. Diese Eltern müssen sich wieder trauen, ihren Kindern, jenseits aller Vorurteile und Eigeninteressen, beizubringen, wie sie sich zu verhalten haben: taktvoll, diszipliniert und mit Selbstzurücknahme. Nur so werden sie zu rücksichtsvollen Individuen, die ihre Leidenschaften im Griff haben, ohne sich dabei selbst zu verleugnen.

Schließlich ist Anstand eine wesentliche Bedingung von Bildung: zum einen, weil Bildung nur durch ein hohes Maß an Selbstdisziplin zu erreichen ist; zum anderen aber, weil zur Geistesbildung notwendig auch die Charakterbildung gehört. Wie kann die Schulpolitik ernsthaft erwarten, dass Kinder sich für die Sprache Goethes begeistern, denen nicht einmal beigebracht wurde, angemessen zu grüßen?

Klare Verhaltensregeln behindern nicht die Selbstentfaltung, sondern verleihen ihr die nötige Form. Das Leben in Deutschland, unter Kindern und Erwachsenen, gewönne einen ganz anderen, vielleicht sogar angenehmen Charakter, würden wir uns wieder auf Werte wie Anstand, Höflichkeit und Disziplin besinnen. In Goethes Worten: "In der Beschränkung zeigt sich erst der Meister, und das Gesetz nur kann uns Freiheit geben."


Konstantin Sakkas, Jahrgang 1982, schloss 2009 das Studium in den Fächern Rechtswissenschaften, Philosophie und Geschichte an der Freien Universität Berlin ab. Er arbeitet seit mehreren Jahren als freier Autor für Presse und Rundfunk.

(c) Deutschlandradio Kultur, Politisches Feuilleton

Donnerstag, 10. Februar 2011

Leitplanken für die Schüler

Über Strenge im Unterricht
Von Michael Felten


Mit der Wahrheit ist es so eine Sache. Spricht der politische Gegner sie aus, so windet man sich gerne - oder bestreitet sie gar. Wenn etwa eine Frau Sarrazin erzählt, als Lehrerin müsse sie manchmal auch streng sein, bricht gleich ein beschwörendes Raunen los. Ähnlich dem Beißritual, das Bernhard Buebs "Lob der Disziplin" vor Jahren auslöste. Dass dieses Buch kaum über das hinausging, was erfahrenen Lehrern selbstverständlich ist, konnten viele der Empörten nicht wissen - sie hatten den Bestseller ja mit Nichtlektüre gestraft.

Versuchen wir es doch einmal ganz nüchtern: Strenge im Klassenzimmer - ist das eigentlich etwas Gutes oder etwas Schlechtes? Die Antwort ist klar: Es kommt darauf an. Kalte Strenge, die mit Demütigung und Beschämung einhergeht, die vor allem Unterdrückung ist - diese Haltung ist wirklich überflüssig, mit ihr ist keinem gedient, weder dem über die Stränge schlagenden Schüler, noch dem um Lernerfolg bemühten Lehrer. Aber gibt es nicht auch so etwas wie herzliche Strenge? Eine wohlwollende Haltung, die jedem Lernflüchter signalisiert: Vorsicht, Leitplanke, wenn du nicht umsteuerst, fährst du in den Graben; vielleicht holst du dir an mir eine Beule, aber dafür wickelst du dich auch nicht um den nächsten Baum.

Nun erscheint Strenge Manchem als verbrannter Begriff, schließlich war schulisches Lernen früher vielfach ein Leben unter der Rute, ging allzu oft mit Lieblosigkeit, Härte und Züchtigung einher. Viele mögen deshalb von Strenge nur noch in Rechtskunde oder Wissenschaft reden, aber nicht, wenn es um Kinder geht. Nun, ein wenig Blättern im etymologischen Wörterbuch könnte das Strenge-Tabu lockern: Die alte Hauptbedeutung von "streng" ist nämlich keineswegs anrüchig; der Begriff bezeichnete Eigenschaften wie stark, tapfer oder tatkräftig, und "sich anstrengen" hieß ursprünglich so viel wie "die Kräfte spannen". Lassen wir uns also die Begriffe nicht wegen ihrer Entartungen aus der Hand nehmen!

Auch wer - um mit dem Reformpädagogen Freinet zu sprechen - den Kindern selbst das Wort gibt, ist überrascht. "Ein strenger Lehrer kann auch nett sein, der ist wie ein Eimer Wasser, da hört man sofort auf zu träumen." Oder: "Streng, das ist, wenn du Scheiße baust, und dem Lehrer ist das nicht egal, der sagt dir dann, was du tun sollst und welche Strafe es gibt." Hier wird keineswegs der Renaissance eines autoritären Paukstils das Wort geredet.

Die Jugend will durchaus nicht bei Fehlern heruntergemacht oder bei jedem Muckser angemotzt werden. Der Lehrer soll freundlich sein, sich aber auch trauen, Widerstand zu leisten - also das Aushalten von Belastungen einfordern und auf dem Einhalten von sozialen Regeln bestehen. Viele Eltern befürworten übrigens solch' entschiedenes Führen ihrer Kinder - sei es aus Weitblick, sei es angesichts eigener Erziehungsschwäche.

Es ist eine eigentümliche Szenerie: Die jungen Bäumchen selbst ermuntern den Gärtner, er möge sie anbinden - natürlich nur vorübergehend und bitte rindenschonend. Im gefeierten Tanzprojekt "Rhythm is it!" formulierte Royston Maldoom es so: "Heranwachsende wollen gar nicht frei sein, sie wollen stark werden." Schüler wissen genau, dass die Schule auch ein Ort der Zumutung sein muss - aber die Schuldebatte hat dieses Bedürfnis lange unterschätzt, wenn nicht gar verachtet. Deshalb steht heute für manchen Lehrer eine Art Perspektivenwechsel an.

Herzliche Strenge in der Schule, das ließe sich ganz unaufgeregt verstehen: als pädagogische Haltung, die Kindern und Jugendlichen Vieles zutraut - und ihnen unbeirrt dabei hilft, an Beschwerlichem zu wachsen. Ein guter Lehrer, das ist jemand, der seinen Schülern nicht nur die Hand bietet, sondern auch die Stirn. Albert Camus jedenfalls war seinem ebenso zugewandten wie strengen Primarlehrer lebenslang dankbar - gleich nach der Verleihung des Nobelpreises schrieb er ihm: "Ohne Sie wäre nichts von alledem geschehen."


Michael Felten, geboren 1951, arbeitet seit 30 Jahren als Gymnasiallehrer für Mathematik und Kunst in Köln. Er ist Autor von Unterrichtsmaterialien, Elternratgebern und pädagogischen Essays. Dabei geht es ihm darum, den Praxiserfahrungen der Lehrer in der öffentlichen Bildungsdebatte mehr Gehör zu verschaffen. Frühere Veröffentlichungen: "Kinder wollen etwas leisten" (2000), "Neue Mythen in der Pädagogik" (2001), "Schule besser meistern" (2006), "Auf die Lehrer kommt es an! Für eine Rückkehr der Pädagogik in die Schule" (2010). Eigene Website zu pädagogischen Themen: www.eltern-lehrer-fragen.de

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Mittwoch, 9. Februar 2011

Naturwissenschaften bleiben out

Der Wandel von Bildungsidealen
Von Eberhard Straub


Die Natur- und die technischen Wissenschaften, die seit der Mitte des 19. Jahrhunderts einen ungeahnten Aufschwung nahmen, erweiterten den Humanismus der idealistischen Philologen und Philosophen zu einem humanistischen Realismus.

Der humanistische Realismus gewann seine Überzeugungskraft aus den Möglichkeiten, Lebensnot und Siechtum zu mindern, den Lebensgenuss zu erhöhen, die Menschen besser, glücklicher und mit ihrem Geschick zufriedener zu machen. Darin lag seine gesellschaftliche Bedeutung.

Idealisten und Realisten blieben allerdings noch eine Zeit lang über das Gymnasium und die klassische Bildung miteinander verbunden. Deshalb erwies sich die Empfehlung des 1881 gestorbenen preußischen Ministerialrates Max Maria von Weber, Fachmann für Eisenbahnen, als gar nicht weltfremd: "Erzieht ganze Menschen, die in allgemeiner Bildung und Lebensform auf der Höhe des Völkerlebens und der zivilisierten Gesellschaft stehen und macht aus diesen Techniker". Der Sohn des Komponisten Carl Maria von Weber, ein Ingenieur und Bürokrat, suchte Verbesserungen für Züge und Gleisanlagen, musizierte, schrieb Novellen, beherrschte mehrere Sprachen und kannte sich in Europa aus. Kurz und gut: Er war ein ganzer Mensch.

Bei der zunehmenden Verwissenschaftlichung des gesamten gesellschaftlichen Lebens und der Wirtschaft konnte sich die freie Forschung nicht mehr selbstgenügsam wie Dr. Heinrich Faust darauf beschränken, möglichst zu erkennen, was die Welt im Innersten zusammenhält. Sie musste sich nach Zwecken richten, die aus der Wirtschaft oder der staatlichen Verwaltung kamen. Von Wissenschaft und Forschung hängt seitdem die ständige Selbstüberholung zur allerneuesten Neuzeit ab. Beide müssen für Innovationen sorgen, für Modernisierung und Fortschritt. Deshalb kümmert sich der Staat um die Ausbildung.

Keine Behörde kann freilich Einzelne oder Gruppen zwingen, ein bestimmtes Fach zu studieren. Ministerien können höchstens warnen oder empfehlen, wenn etwa die Neigung unter Abiturienten nachlässt, Naturwissenschaften zu studieren. Diese Unlust liegt nicht unbedingt an verspielten Launen oder einfach an der Trägheit bequem gewordener Jugendlicher. Der humanistische Realismus hat längst seine Überzeugungskraft eingebüßt. Denn die Wissenschaften verfügen über kein Natur- und Menschenbild mehr. Die Natur galt einmal als schöne und sinnvolle Ordnung, als Kosmos, wie sie noch Alexander von Humboldt beschrieb, die unabhängig von Gott betrachtet und erforscht werden kann. Sie lässt sich aber mittlerweile auch unabhängig vom Menschen betrachten, jenseits von dessen Freiheit und Würde, die manche für eine lästige Fiktion des Menschen halten, der sich einmal als Krone und Zweck der Schöpfung verstand.

Der Wissenschaftler ohne ein Natur- und Menschenbild muss sich auch gar nicht mehr verständlich machen. Es geht ihm vorzugsweise um Datenvermittlung und Information. Dafür reichen ein paar Zeichen und Signale. Naturwissenschaftler können es sich leisten, fast Analphabeten zu bleiben. Sie brauchen die Sprache nicht mehr und für ihre Formeln und Verkürzungen kein Publikum und keine Öffentlichkeit. Die Zuarbeiter der sogenannten Wissensgesellschaft wissen viel. Sie können aber nicht mehr sagen, was sie wissen, und haben meist keine Lust oder sind unfähig, zu erläutern, warum Wissensbestände um ihren Wert gebracht wurden durch ihre wissenswerten Neuigkeiten. Dafür müssen meist "Übersetzer" sorgen, also Wissenschaftsjournalisten oder Sachbuchautoren.

Die Naturwissenschaftler haben den Zusammenhang mit der Lebenskultur verloren, in der sie sich entfalten. Insofern ist es nicht verwunderlich, wenn sie ihre Anziehungskraft verlieren. Denn der Mensch nimmt sich weiterhin wichtig. Er ist dauernd mit sich selbst beschäftigt, weil er wissen will, warum er lebt und welches seine Stellung in der Welt als Natur und Geschichte ist. Da ihm Physiker und Chemiker darauf keine angemessene Antwort geben, sucht er bei Dichtern, Philosophen oder Theologen Auskünfte.

Auf dem Gymnasium lernte Werner Heisenberg Platons "Timaios" kennen. Von ihm lernte er prinzipielles Denken, wie man den Dingen auf den Grund geht. Das machte ihn zum Physiker. Der Weg des Geistes erwies sich als heilsam, und nicht als Umweg.


Eberhard Straub, Publizist und Buchautor, geboren 1940, studierte Geschichte, Kunstgeschichte und Archäologie. Der habilitierte Historiker war bis 1986 Feuilletonredakteur der "Frankfurter Allgemeinen Zeitung" und bis 1997 Pressereferent des Stifterverbandes für die Deutsche Wissenschaft. Heute lebt er als freier Journalist in Berlin. Buchveröffentlichungen u. a. "Die Wittelsbacher", "Drei letzte Kaiser", sowie "Das zerbrechliche Glück. Liebe und Ehe im Wandel der Zeit" und "Zur Tyrannei der Werte".

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Dienstag, 8. Februar 2011

Europa und der Pharao

Zum Umgang mit Diktatoren
Von Jacques Schuster


Ach herrje, was hat der Westen wieder alles falsch gemacht! Wie konnten unsere Politiker es wagen, Hosni Mubarak, diesen Wolf im Schafspelz - oder Schaf im Wolfspelz? - wie auch immer - wie konnten unsere Politiker es wagen, den ägyptischen Schurken 30 Jahre zu hätscheln?

Wieder ist es diese eiskalte Realpolitik, die uns zu Bütteln finsterer Mächte macht. Haben wir nichts aus den Fehlern unserer Entspannungspolitik gelernt, als Brandt, Schmidt und Kohl Honecker und Jaruzelski hofierten und sich Bundeskanzler Helmut Schmidt zu dem unverfrorenen Satz aufschwang: "Jede Einmischung ist Anmaßung"? Vergesst Bismarck, glaubt Michel Friedman. Hört nicht auf Henry Kissinger - achtet auf Claudia Roth. Oder auf einige Journalisten.

"Herr Minister, warum fordern Sie nicht den Rücktritt des ägyptischen Präsidenten?", wurde Guido Westerwelle in einer der Brennpunkt-Sendungen des Fernsehens gefragt. Ja, warum hat er nicht, der tumbe Tor? Hätte er bei seinem Antrittsbesuch im vergangenen Jahr in Kairo nicht gleich am Flughafen der ägyptischen Hauptstadt zum Tyrannenmord aufrufen sollen? Das Volk wäre ihm sicher gefolgt. Doch was nützt es, über das Gestern zu lamentieren? Dem Morgen gehört die Zukunft. Vergessen wir die Fehler der Vergangenheit. Ändern wir die deutsche Außenpolitik - heute noch.

Und zwar wie folgt: In einer Stunde wird Außenminister Westerwelle vor die Presse treten, auf die Menschenrechtsverletzungen in Saudi-Arabien hinweisen und König Abudllah al Saud auffordern, den Thron zu räumen. Sollte das nicht geschehen, werde die Bundesrepublik ihren Botschafter abziehen, wird Westerwelle drohen. Solange das Regime nicht freie Wahlen verspricht, werde sich Berlin weiteren Erdöllieferungen verweigern.

Und König Abdullah von Jordanien? Er ist nicht ganz so unappetitlich wie der saudische Monarch, aber ein Demokrat ist Abdullah auch nicht. Aus diesem Grund weist Westerwelle mit Billigung der Bundeskanzlerin Entwicklungshilfeminister Dirk Niebel an, einen Teil der Hilfe für Jordanien den Oppositionsparteien vor Ort zukommen zu lassen. Schließlich beklagen sich die jordanischen Muslimbrüder seit Jahren über die Pressezensur - und das zu Recht.

In Syrien wiederum ist alles friedlich. Seit Syriens Präsident Hafiz al-Assad 1982 seine Armee aussandte, um etwa 20.000 Muslimbrüder zu ermorden, ist es ruhig zwischen Euphrat und Mittelmeer. Die Tat sollten wir dennoch nicht vergessen und Baschar al-Assad, den Sohn des Massenmörders in Zukunft schneiden, jedenfalls so lange er nicht Rechtsstaatlichkeit gelobt.

China ist zu groß für eine Boykott-Politik, doch auch die Einparteidiktatur muss wissen, wie wir zu ihr stehen. So entsendet Berlin einen Botschafter an den Hof seiner Heiligkeit, des Dalai Lama. Peking soll nicht glauben, wir Deutschen würden seine Terrorherrschaft den Tibetern gegenüber folgenlos hinnehmen.

Merken Sie etwas? Folgte Deutschland nur der Moral, stünde es in der Welt allein da. Schlimmer noch: Aus Partnern würden Gegner. Sicher, werden Sie nun einwenden, aber wenigstens im Falle Ägyptens hätte Deutschland früher seine Stimme erheben können. Hätte es? Ägypten galt Europäern und Amerikanern nicht nur als halbwegs stabil, im Vergleich zu den anderen muslimischen Führern waren Mubarak und der Tunesier Ben Ali auch viel weniger autoritär.

Darüber hinaus war Mubarak lange Zeit beliebt im Volk. Er war der Präsident, der sein Land nach dem Frieden mit Israel aus der Isolation zurück in die arabische Familie führte. Das Volk dankte ihm dafür.

Was folgt daraus? Zunächst und vor allem eines: Es ist nicht alles, wie es scheint. Und wenn es so ist, wie sollen wir in Zukunft mit Ägypten umgehen? Die Antwort ist klar: mit Vorsicht. Freie Wahlen bringen nicht gleich demokratische Verhältnisse. Monate später noch könnten sich die Muslimbrüder, die stärkste Oppositionsbewegung im Land, leise an die Macht schleichen. Oder das Militär. Es hat bisher noch jeden Machtwechsel in Ägypten nach seinen Regeln vollzogen.

Wie soll Deutschland darauf reagieren? Die Antwort führt uns zurück in die angeblich so eisigen Sphären der Realpolitik. Deutschlands Interesse sollte es sein, mit einem ägyptischen Staat zu tun zu haben, der darauf achtet, das Pulverfass Nahost nicht explodieren zu lassen. Wenn er darüber hinaus noch Rechtssicherheit und vielleicht sogar die Menschenrechte garantiert, dann ist das umso besser.


Jacques Schuster, 1965 in Berlin geboren, studierte Geschichte und Internationale Beziehungen an der Freien Universität Berlin. Von 1994 bis 1997 war er regelmäßiger Autor der "Frankfurter Allgemeinen Zeitung", der "Süddeutschen Zeitung" und des "Tagesspiegels". Von 1998 bis 2006 leitete Schuster das Ressort Außenpolitik bei der "Welt", jetzt ist er Mitarbeiter der "Literarischen Welt". 1996 erschien sein Buch "Heinrich Albertz - Ein Mann, der mehrere Leben lebt".

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Montag, 7. Februar 2011

Der Mensch aus der Retorte

Über die Herausforderungen der Biotechnik
Von Nikolaus German


Es könnte sein, dass der Mensch, so wie wir ihn kennen, und der wir sind, dabei verschwindet - zugunsten evolutionär besser angepasster, weil biotechnisch optimierter Menschen aus der Retorte.

Unter den heutigen Schriftstellern von Rang ist Michel Houellebecq einer der wenigen, die das Thema des kommenden Retorten-Menschen literarisch überzeugend behandelt haben. In seinen Romanen "Elementarteilchen" und "Die Möglichkeit einer Insel" entwirft er ein Szenarium des globalen Menschenparks gegen Ende des 21. Jahrhunderts. Dominierend sind in dieser Welt bereits die biotechnisch erzeugten sogenannten Neo-Menschen. Die auf natürliche Weise sich paarenden und fortpflanzenden Alt-Menschen unserer Art gibt es dann zwar noch in Restbeständen, sie haben aber keine Chance im Wettbewerb mit den biotechnisch optimierten neuen Menschen, die nicht nur langlebiger, krankheitsresistenter und intelligenter sind, sondern auch sozial vernünftiger und friedlicher. Und so sterben dann die letzten Vertreter der herkömmlichen Spezies Mensch samt ihrer antiquierten Kultur und Religion langsam aus - wie in unserer Zeit die Yanomami-Indianer.

Dass Houellebecqs Szenarium so oder ähnlich schon in 50 bis 100 Jahren Realität werden könnte, halten wissenschaftliche Zukunftsforscher wie der Franzose Jacques Attali für durchaus möglich. Attali glaubt, die ersten geklonten Neo-Menschen wird es in geringer Zahl sogar schon viel früher geben, aber im globalen Menschenpark werden sie zunächst kaum bemerkt werden. Er glaubt, dass sich der Übergang der menschlichen Gesellschaft von der Naturwüchsigkeit zur biotechnischen Reproduzierbarkeit in einem langen Prozess über mehrere Generationen vollziehen wird.

Demnach kommt es im ersten Viertel des 21. Jahrhunderts zu einer enormen Zunahme von in-vitro-Zeugungen. Schon im Jahr 2008 gab es weltweit drei bis vier Millionen Kinder, die im Reagenzglas gezeugt wurden! Das jetzt noch verfemte reproduktive und therapeutische Klonen wird nach und nach in einzelnen Ländern zugelassen und sich später weltweit durchsetzen. Überall wird es Ersatzteillager mit nachwachsenden menschlichen Organen geben. Dann wird man den Menschen als "maßgeschneidertes Artefakt mit vorab ausgewählten Merkmalen in künstlichen Gebärmüttern fabrizieren." Schließlich wird man versuchen, den Tod durch fortgesetztes Klonen endlos hinauszuschieben.

Freilich - die Geschichte verläuft nie zwangsläufig. Der Alptraum einer solchen Menschheitsentwicklung muss nicht eintreten, wenn rechtzeitig gegengesteuert wird. Das ist auch die Hoffnung Attalis.

Jedoch: Die meisten Philosophen, Intellektuellen und Künstler haben auf die Herausforderung der biotechnischen Revolution für den Menschen noch kaum reagiert. Wie kommt das?

Vielleicht weil die Vorstellung vom möglichen Ende des Menschen zu deprimierend ist - man verdrängt das. Oder man denkt: Das ist weit weg, jenseits meines Lebenshorizonts. Was soll ich mich damit beschäftigen - und überhaupt: Was ist bis jetzt schon groß passiert in der Biotechnik? Dieses Klonschaf damals, ein paar Retortenbabys, ein künstlich hergestelltes Bakterium von diesem Craig Venter - was bedeutet das schon!

Und Präimplantationsdiagnostik, und Gentransfers in menschliche Embryonen? - Wenn dadurch AIDS oder schwere Erbkrankheiten verhindert werden, ist das doch nicht schlecht, hört man.

Wohl wahr, möchte man sagen - und auch wiederum nicht. Denn die präventive therapeutische Gentechnik könnte zum Einfallstor werden für genetische Optimierungsverfahren, zum Beispiel zur Herstellung sogenannter Designer-Babys.

Was darf Biotechnik, und was darf sie nicht? Darüber bräuchten wir dringend eine breite ethisch-philosophische Bewusstseinsbildung - und eine nachhaltige öffentliche Diskussion. Wir müssten fragen, was wir für die unaufgebbare, unantastbare Substanz des Menschseins halten - und wie wir sie sichern wollen.

Freilich müssten solche Fragen, weil es um die Zukunft des Menschen überhaupt geht, zu einem Anliegen der ganzen Menschheit werden.


Nikolaus German, Autor und freier Journalist. M.A., geboren 1950, Studium der Politikwissenschaft, Soziologie, Geschichte an der Ludwig-Maximilians-Universität München. Lebt als Autor und freier Journalist in München, schreibt vor allem für "Süddeutsche Zeitung" und "Das Parlament". Zahlreiche Beiträge für Rundfunk und Fernsehen sowie mehrere Dokumentarfilme, darunter "Botschafter der Hoffnung - Sergiu Celibidache in Rumänien", "München unterm Hakenkreuz - Hitlers Hauptstadt der Bewegung", "Max Mannheimer - ein Überlebender aus Dachau".

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Mittwoch, 2. Februar 2011

Don't be attempt by flesh

Ich schulde euch noch dieses echt geile Bild, dass ich im Sterntagebuch unter den Text von gestern gesetzt habe...



Mein Bruder schickte es mir mit den Worten "Matthias' Antwort auf den Gammelfleisch-Skandal". In welchem Jahr war der doch gleich?!

Dienstag, 1. Februar 2011

Erst kommt das Fressen...

...dann kommt die Moral
Von Ulrich Woelk


Ein besserer Mensch werden - wer wollte das nicht! Immer wieder nehmen wir uns das vor, und immer wieder scheitern wir daran. Es ist ein Jammer. Wie gut also, dass es immer auch jene gibt, die moralisch auf dem Laufenden sind.

Sie helfen uns, unseren Wertekompass beständig neu zu justieren, wobei in jüngster Zeit allerdings eine unserer ältesten Gewohnheiten zunehmend zur moralischen No-Go-Area wird: unser Fleischkonsum.

Ob Showmaster, Autor, Schauspieler oder Feuilletonist - die Zahl derer, die für das fleischlose Leben die publizistische Werbetrommel rühren, wird von Tag zu Tag größer. Aktuelle Bücher zum Thema erklimmen mühelos die Bestseller-Listen, wie "Tiere essen" des US-Amerikaners Jonathan Safran Froer oder "Anständig essen" von Karin Duve, die gleich im ersten Satz beschließt, ein "besserer Mensch" zu werden, indem sie einen Karton mit der Aufschrift "Hähnchen-Grillpfanne" zurück ins Supermarkt-Regal legt.

Höchste Zeit also, einmal über die zivilisatorischen Wurzeln unseres Fleischkonsums nachzudenken und zu überlegen, ob es sich dabei tatsächlich um eine unserer üblichen postmodernen Verfehlungen, um einen weiteren unerträglichen Auswuchs der zunehmenden Fast-Foodisierung unseres Lebensstils handelt.

Das Domestizieren und Halten von Tieren geht auf eine Entwicklungsphase der Menschheit zurück, die von Anthropologen als neolithische Revolution bezeichnet wird. Stattgefunden hat sie vor etwa zwölftausend Jahren, und man darf in ihr getrost einen der bis heute größten Entwicklungssprünge der Menschheit sehen.

Aus Jägern und Sammlern wurden in anthropologisch kürzester Zeit Hirten und Landwirte - eine Entwicklung, die zur Grundlage dessen wurde, was wir heute unter Zivilisation verstehen: Die intensivierte Nahrungsmittelproduktion erlaubte höhere Bevölkerungsdichten, die schließlich in die ersten Stadt- und Hochkulturen mündeten. Handwerk und Handel ebenso wie Kunst, Wissenschaft und Dichtung erlebten durch die Möglichkeiten des schnellen Informationsaustauschs in den Städten eine ungeheure Blüte. Und es wurde ein Medium erfunden, mit dem sich die Informationsflüsse standardisieren und festhalten ließen: die Schrift.

Ob wir wollen oder nicht: Die Produktion und der Konsum von Fleisch gehören seit zwölftausend Jahren zu unserem kulturellen Erbe. Dies ist eine anthropologische Tatsache, die zu unserer mentalen und genetischen Grundausstattung gehört. Deswegen ist der Versuch, unsere Essgewohnheiten zum Sündenfall zu erklären so verfehlt.

Es hat immer Vegetarier gegeben, und in einer pluralen Gesellschaft sind sie allemal ein ganz selbstverständlicher Teil des vorhandenen Spektrums an Lebensstilen. Die individuellen Entscheidungskriterien zum fleischlosen Leben aber zur Grundlage einer Konsummoral für alle zu machen verströmt den Hautgout einer klassischen Ideologie, die dem Menschen einmal mehr vorschreiben möchte, was er zu tun und zu lassen hat, wenn er gut sein möchte. Bitte nicht schon wieder!

Wer die Zustände in der heutigen Massenfleischproduktion ändern möchte, wird dies am allerwenigsten erreichen, indem er den Menschen moralisches Versagen vorwirft. Schon Bertolt Brecht stellte einst fest: "Erst kommt das Fressen, dann kommt die Moral." Man kann das Bedauern - ändern kann man es nicht.
Ändern kann man die Lebensumstände von Tieren in der Landwirtschaft. Dafür gibt es viele gute Gründe, wie die endlose Kette von Lebensmittelskandalen in den vergangenen Jahren zeigt. Das mühsame Erhöhen politischer Tierschutznormen ist rhetorisch vielleicht nicht besonders publikumswirksam, aber ist letztlich das Einzige, was nicht nur dem guten Gewissen des Redners dient, sondern auch dem Tier.

Höhere Standards in der Tierhaltung wirken sich unmittelbar auf den Preis von tierischen Produkten aus. Dieser steigt - und mit ihm das Qualitätsbewusstsein des Kunden. Mit einem teuren Produkt geht man bewusster um als mit einem billigen. Wer viel Geld ausgibt, achtet auf Qualität und prüft Alternativen - Ernährungsalternativen. So handeln Menschen. Mit schlecht, gut oder besser hat das überhaupt nichts zu tun.


Ulrich Woelk, geboren 1960 in Köln, studierte Physik in Tübingen und Berlin. Sein erster Roman, "Freigang", erschien 1990 im S. Fischer Verlag und wurde mit dem Aspekte-Literaturpreis ausgezeichnet. Seit 1995 lebt Ulrich Woelk als freier Schriftsteller in Berlin. Seine Romane und Essays sind unter anderem ins Chinesische, Französische, Englische und Polnische übersetzt. Zuletzt erschien "Joana Mandelbrot und ich".

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