Freitag, 4. März 2011

"Und damit zurück nach Hamburg"

Die mediale Wahrnehmung welthistorischer Ereignisse
Von Reinhard Mohr


Erinnern Sie sich noch an Langspielplatten, an diese großen, schwarzen, runden Dinger mit Rillen drin? Eine wunderbare Erfindung des 19. Jahrhunderts. Leider hatten sie manchmal einen Kratzer. Dann blieb der Tonabnehmer hängen und wiederholte immer dieselbe Stelle. Immer und immer wieder. Heutzutage übernehmen die politischen Talkshows die Funktion der defekten Langspielplatte: Hartz IV, Hartz IV, Hartz IV, Gesundheit, Pflege, Rente und Deutschland am Abgrund. Wieder mal. Wie immer. Und so weiter.

Die obsessive Selbstbeschäftigung ist zum Mantra jenes elektronischen Massenmediums geworden, das eigentlich prädestiniert ist für den weiten, ja weltweiten Blick. Doch nichts da, immer schön zu Hause geblieben am wärmenden Herdfeuer des eigenen Unglücks.

Und so war es wahrscheinlich kein Zufall, dass es Tage dauerte, bis das deutsche Fernsehen auf die revolutionären Umstürze in Tunesien und Ägypten, schließlich in Libyen, halbwegs angemessen reagierte. Man blieb in einer merkwürdigen Starre zwischen professionell erzeugter Emotionalität und dem dauerbesorgten Politsprech medialer Pseudo-Zeitzeugenschaft hängen.

Besonders unangenehm fiel dabei eine Sendung auf, in der binnen 40 Minuten ein Dutzend Gesprächspartner von Köln bis Kairo übers virtuelle arabische Gelände gejagt wurde, ohne dass auch nur einem einzigen Gedanken wirklich nachgegangen wurde. Diese Form demonstrativer Ereignishektik kontrastiert scharf zur eigentümlich bräsigen Alltagsroutine, mit der selbst revolutionäre Umwälzungen in der Welt noch ins bürokratisch durchgeplante Programmschema eingepasst werden. Immerhin begrüßte der Moderator mit Hamed Abdel-Samad ausnahmsweise einmal einen wahrhaftigen Ägypter (wenn auch mit deutschem Pass), der zudem wochenlang gegen Mubaraks Herrschaft mitdemonstriert hatte.

In den berüchtigten Talkshows bleibt man ansonsten gern unter deutschen Landsleuten. Motto: Bloß nicht zu viel Information aus erster Hand, das bringt den geplanten Ablauf einschließlich der famosen Einspielfilmchen nur durcheinander. Und so müssen eben die üblichen Verdächtigen des deutschen Politikbetriebs fehlende Auslandserfahrung, Engagement und Fachkompetenz durch verstärkte Floskelproduktion ausgleichen.

Bis zum heutigen Tage kann man sich des Eindrucks nicht erwehren, bei einer neuen großen Oderflut oder zwei Wochen Dauerregen in Oberbayern würden mehr Reporter in Gummistiefeln an die Front geschickt als bei diesen sensationellen Ereignissen von welthistorischer Bedeutung.

Als dann schließlich, auf dem Höhepunkt der ägyptischen Revolte, die schon hunderte Tote gefordert hatte, die Reporter "live" von den Balkonen rund um den Tahrir-Platz berichteten, gelang manch einem wackeren Korrespondenten kaum ein fehlerfrei aufgesagter Satz außer dem rettenden "Und damit zurück nach Hamburg". "Danke für Ihre Analyse des Geschehens", kam das artige Echo aus dem heimischen Studio, doch von Analyse war leider keine Spur. Entweder wurden diffuse Bauchgefühle weitergegeben oder wohlfeile Nahost-Stereotype - doch kaum je ein fundiertes Urteil auf dem Hintergrund jahrzehntelanger Reporter-Erfahrung. Wer ein bisschen im Netz surfte, war stets weitaus besser informiert als durch den Reporter "vor Ort". Es sei denn, er schaltete CNN ein.

Einen mildernden Umstand gibt es: Die mangelnde Geistesgegenwart des deutschen Fernsehens war nicht zuletzt ein getreuer Spiegel der Reaktion in Deutschland und Europa insgesamt. Während in den arabischen Despotien millionenfach der Ruf nach Freiheit, Demokratie und Menschenrechten ertönte, beschäftigte sich der Kontinent, auf dem sie erfunden und erkämpft wurden, mit den immer gleichen Wehwehchen der wohlstandsübersättigten Seele.

Und damit zurück nach Tripolis.

Reinhard Mohr, geboren 1955, ist freier Journalist. Zuvor schrieb er für "Spiegel Online" und war langjähriger Kulturredakteur des "Spiegel". Weitere journalistische Stationen waren der "Stern", "Pflasterstrand", die "tageszeitung" und die "Frankfurter Allgemeine Zeitung". Buchveröffentlichungen u. a.: "Das Deutschlandgefühl", "Generation Z", "Der diskrete Charme der Rebellion. Ein Leben mit den 68ern" und "Meide deinen Nächsten. Beobachtungen eines Stadtneurotikers".

(c) Deutschlandradio Kultur, Politisches Feuilleton

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