Freitag, 11. März 2011

Das nächste Schulmassaker kommt bestimmt

Machen wir uns Gedanken?
Von Alexander Schuller


Das nächste Schulmassaker kommt bestimmt. Die Verhältnisse, die sind halt so. Die Mörder kommen offenbar aus ordentlichen Familien. Sie haben Vater und Mutter und ein eigenes Zimmer.

Sie tragen schicke Klamotten, haben gut zu essen und alles, was junge Menschen so brauchen: Fernsehen, Computer, Videospiele. Sie sind unauffällig und freundlich, vielleicht ein bisschen scheu, aber das ist in dem Alter ganz natürlich. Alles scheint in Ordnung. Und dann das: Massaker, schwere Waffen und schwarze Uniformen. Massenmord, das hatten wir nicht auf dem Schirm.

Trotzdem, es passiert immer wieder. Und immer wieder sind wir, bemüht und bieder, fassungslos. Wir schicken Berater und Therapeuten in die Schulen, in die Familien, ins Fernsehen. Wir ziehen Experten hinzu, immer nur die besten. Die plaudern dann aus dem Nähkästchen ihres Faches. Dabei interessiert vor allem: Wie sind die Kids bloß an die Waffen gekommen? Müssen wir die Gesetze verschärfen, den Zugang zu den Waffen neu regeln, die Altersgrenze verschieben? Die Gesetzeslage und die Lagerung der Waffen, das wird diskutiert. Und wir regen uns auf über die Videos, über Killerspiele, die sich die Kids unbeobachtet in ihrem Zimmer bis spät in die Nacht reinziehen. Das finden wir zwar nicht so schön, aber eigentlich interessiert uns diese virtuelle Welt nicht. Wir sehen uns andere Programme an.

Dass diese Videos, die langen einsamen Nächte am Bildschirm mit dem Morden irgendwie zu tun haben könnten, das ahnen wir schon. Aber dann beruhigen uns die Experten. Die Daten seien nicht eindeutig. Das Spielen mit Mord und Massaker sei vielleicht sogar hilfreich, um Aggressionen abzureagieren. Es gebe schließlich Millionen Kinder, die jeden Tag am Computer spielen, dann morgens ihre Cornflakes essen und friedlich in ihre Schule gehen.

Trotzdem stehen die Fragen im Raum, alptraumhaft. Warum sind die Massenmörder alle männlich? Warum tragen sie zum Morden eine Kampf-Uniform? Warum morden sie vor allem in ihren eigenen und nicht in anderen Schulen? Warum bemerken die Familien nichts? Warum geschehen diese Massaker in post-modernen Gesellschaften?

Diese Fragen werden selten laut gestellt. Wahrscheinlich weil wir im Innersten längst wissen, dass weder die frei zugänglichen Waffen, noch die Killerspiele, noch unsere Kids das Problem sind. Das Problem sind die Erwachsenen. Zu häufig haben sie in ihrem Leben keinen Raum mehr für Kinder. Zwischen beruflicher und persönlicher Selbstverwirklichung, zwischen Urlaub und Geldverdienen werden Kinder vielen zur Zumutung. Mann und Frau haben Besseres zu tun, als eine Familie zu betreiben. Nicht freiwillig, mehr notgedrungen entziehen sie den Kindern Heimat und Häuslichkeit und ersetzen sie durch Wohlstand und Technik. Familie als lebendige Einheit funktioniert nicht mehr. Das ist kein Geheimnis.

Weder in Erfurt noch in Winnenden wussten die Eltern, was sich in den Nächten und in den Seelen ihrer Kinder abspielte. Ursula von der Leyen hat schon recht: Eltern sind am glücklichsten, wenn sie den Nachwuchs möglichst früh abschieben können. Allerdings müssen wir nun immer damit rechnen, dass ein stiller, unauffälliger Junge seinen schwarzen Kampfanzug anzieht, sich rüstet mit der Waffe seines Vaters und sich vor aller Öffentlichkeit endlich, endlich rächt für Einsamkeit und Demütigung. Er zeigt aller Welt und vor allem sich selber, wer er ist: ein richtiger Mann. Tragisch, dass wir ihm das nicht anders vermitteln konnten.

Alexander Schuller ist Soziologe, Publizist und Professor in Berlin. Er hatte Forschungsprofessuren in den USA (Princeton, Harvard) und ist Mitherausgeber von "Paragrana" (Akademie Verlag). In seinen wissenschaftlichen Veröffentlichungen befasst er sich mit Fragen der Anthropologie und der Bildungs-, Medizin-, Geschichts- und Alltagssoziologie. Er arbeitet als Rundfunk-Autor sowie für zahlreiche Zeitungen und Zeitschriften wie "Merkur" und "Universitas".

(c) Deutschlandradio Kultur, Politisches Feuilleton - 26.03.09

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