Von Klaus Schroeder
Soviel Anerkennung wie derzeit genoss die DDR Zeit ihres Lebens nicht. Anders als nach 1945, als in der Bundesrepublik die Demokratie von einer breiten Mehrheit getragen wurde, weil die Schatten der NS-Vergangenheit verblasst waren, nimmt die Verklärung der sozialistischen Diktatur zu, je länger sie zurück liegt. Die heutige Demokratie dagegen gilt nur einer Minderheit der Ostdeutschen als verteidigenswert. Dies hat mehrere Gründe, offenkundige und tabuisierte.
Viele ehemalige DDR-Bürger loben ihren untergegangenen Staat, weil sie nach der Wiedervereinigung mit den neuen Verhältnissen nicht zu recht kommen, sich den Westdeutschen unterlegen fühlen oder fehlende Anerkennung für ihre Lebensleistungen beklagen. Wieder andere, vor allem junge Menschen, verklären den SED-Staat aufgrund mangelnder Kenntnisse.
In den Elternhäusern und Schulen wird ihnen viel über einen auf Banalitäten reduzierten Alltag und wenig über die diktatorischen Facetten und sozialen Realitäten berichtet wie etwa die gewaltigen Vermögensunterschiede, die bis zum Ende andauernde Mangelwirtschaft oder die kargen Renten. Die flächendeckende Umweltzerstörung findet ebenfalls kaum Erwähnung. Hinzu kommt Mitleid oder auch Nachsicht mit den Eltern und Großeltern, die aufgrund mangelnder Differenzierung zwischen System und Lebenswelt als Verlierer des Systemwettbewerbs dastehen.
Weitgehend ausgeklammert bleiben in öffentlichen und privaten Diskussionen individuelle Verstrickungen in das diktatorische System, die offenbar eine weitaus größere Dimension haben als bisher öffentlich bekannt. Die Verharmlosung der Diktatur dient insofern vielen auch als Schutz des eigenen damaligen Verhaltens. Individuelle Verantwortung wird mit Verweis auf gegebene Strukturen und Zwänge geleugnet oder bestritten.
Die aus dem Amt geschiedene Bundesbeauftragte für die Stasi-Unterlagen, Marianne Birthler, wurde nicht müde zu betonen, dass nur ein sehr geringer Teil der Ostdeutschen für die Stasi gespitzelt habe. Dies ist, wenn überhaupt, nur die halbe Wahrheit. In den über sie angelegten Akten finden viele Personen Informationen von Kollegen, Vorgesetzten, Bekannten oder Freunden, die nicht offiziell oder inoffiziell für die Stasi gearbeitet haben. Die Auskunftsfreude inklusive der damit verbundenen Denunziationsbereitschaft vieler Ostdeutscher war offenbar stärker ausgeprägt, als manche wahrhaben wollen. Dieser Personenkreis schadete den Bespitzelten oftmals stärker als die IMs.
Die freiwilligen Helfer der Grenzpolizei etwa haben fleißig dazu beigetragen, dass Fluchtwillige geschnappt, verurteilt und ihrer sozialen Existenz beraubt wurden. Freiwillige Helfer der Volkspolizei, Mitglieder von Hausgemeinschaftsleitungen und Abschnittsbevollmächtigte meldeten ebenfalls den "Sicherheitsorganen" Verdächtiges. Ganz zu schweigen von den vielen überzeugten Kommunisten, für die die Zusammenarbeit mit der Stasi selbstverständlich war.
Im Rahmen des so genannten politisch-operativen Zusammenwirkens arbeiteten viele staatliche Institutionen schon von Amts wegen mit der Stasi zusammen. Diese zwar bekannte Tatsache wurde bisher jedoch von der Stasi-Unterlagenbehörde nicht umfassend erforscht. Aus dem Blick geraten ist auch die dominante Rolle der SED, die Spitzelei und Unterdrückung anordnete und die Stasi lenkte und kontrollierte.
Gewiss, Aufklärung über die sozialistische Diktatur in einem umfassenden Sinn tut vielen weh, aber dennoch ist gerade diese Aufklärung Aufgabe des Birthler-Nachfolgers Roland Jahn, der dafür sorgen muss, dass die Stasi nicht isoliert, sondern als ein Teil des Herrschaftssystems der sozialistischen Diktatur gesehen wird. Stärker als bisher muss er zudem die Arbeit seiner Behörde mit anderen Institutionen, die sich der Aufarbeitung der sozialistischen Diktatur verschrieben haben, verzahnen. Die DDR darf weder als soziales Paradies noch als Stasi-Staat verklärt werden.

(c) Deutschlandradio Kultur, Politisches Feuilleton [Funkfassung]
1 Kommentar:
Ein DDR-Grenzpfahl. Bild: Kai Frobel.
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