
Schlagen wir das Buch auf, befinden wir uns schon innerhalb kürzester Zeit im Osten der USA. Die Blue-Ridge-Mountains, ein Teil der Appalachen, bilden zweifelsfrei eine traumhafte Kulisse für Romane voll von Leidenschaft und Lust. Beides finden wir zwar nicht in Die Hütte, aber auch Kathrin Groß-Strifflers Geschichte ist hier nicht fehl am Platz: Es ist ein Psychodrama um eine junge Frau, eine deutsche Studentin, die eines Tages beschloss, vor ihrer Vergangenheit und ihrem Leben, wie es bis jetzt war, zu flüchten. Was ihr zugestoßen ist, weiß keiner; doch in einer einsamen Hütte, dem Alterssitz einer alten Dame angehörend, glaubt sie, Erlösung gewinnen und sich ein neues, befreites Leben aufbauen zu können.
Die Autorin versetzt uns an einen Ort, an dem der gemeine Leser fast glaubt, das alte Goldgräber-Gefühl wahrzunehmen. In dieser Abgeschiedenheit baut Kathrin Groß-Striffler eine kleine Welt, geprägt von Alltagsaktivitäten, auf.
Hier hin flüchtete sich Johanna, als sie erkennt, dass ihre Ehe mit Jim vom anfänglichen Glück verlassen wurde. Auch Emigranten trügt der Schein vom Glück in der Ferne öfter als man zudenken wagt. Auf dem einsamen Alterssitz einer in die Jahre gekommenen Frau quartierte sie sich ein. Dort verrichtet sie Aufgaben für die Frau, die mit Landarbeit und Bauernhof-Tierpflege beschrieben werden können. Joanna, wie sie sich von der alten Frau nennen lässt, findet auch bald einen neuen Freund im Hund Monti, der zu ihrer Hütte gehört. Mit ihm treibt sie durch Höhen und Tiefen, vorbei an Verletzungen, die sie sich und ihrem treudummen Begleiter zufügt.
In all der Alltäglichkeit und den vereinzelten Rückblicken in Johannas Vergangenheit kommt man schnell auf den Gedanken, dass Selbige Opfer einer Vergewaltigung geworden ist. Da überrascht es mich nicht, dass sich Groß-Striffler ein besonderes Schmankerl hat einfallen lassen: den Schrei! Seiner Entstehung sind Sie schon im Eingangszitat auf den Grund gegangen. Aber solch eine Eigenart der Hauptfigur ist nur die letzte, die Parallelen zu anderen preisgekrönten Werken vermuten lässt.
Die Hütte endet, wie sie begonnen hat: alltäglich! Obwohl man sich nach den letzten Zeilen mit einem offenen Ende auseinander setzten muss, hat man jedoch nicht das Gefühl, es fehle etwas.
Alles in allem, stand für mich schon recht schnell fest, dass Die Hütte dazu bestimmt war, mit einem Literaturpreis, wie dem Alfred-Döblin-Preis, ausgezeichnet zu werden:
Die Geschichte wird aus der Ich-Perspektive erzählt (was an sich noch kein Kriterium für einen Preis ist, aber es liest sich gut und macht eine Geschichte sehr viel lebendiger) und führt zum anderen in menschliche Abgründe, die durchaus faszinieren. Die Trägerin des Alfred-Döblin-Preises 2003 offenbart ferner ein großes sprachliches Können.
Nun gut, das Buch habe ich Weihnachten 2007 von meinem Schwager geschenkt bekommen – und bin, ganz nebenbei, der Literatur in fast all ihren Formen verfallen –, und somit irgendwie nicht die Neutralität in persona. Wer aber ebenfalls parataktische Sätze und eine lakonische Ausdrucksweise liebt, für den ist das Buch auf jeden Fall das Richtige!
Kathrin Groß-Striffler - Die Hütte
deutschsprachiges Original, 2. Auflage 2004
Aufbau-Verlag, Berlin
Gebundene Ausgabe, 158 Seiten
ISBN: 3-351-02989-6
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